CfP „Zeitkonzepte – Zeiterfahrung – Zeitgeist“

As time goes by: Zeitkonzepte – Zeiterfahrung – Zeitgeist.

Sektion der Theorie-AG am 7. Deutschen Archäologenkongress 2011 in Bremen (3.-4.Oktober 2011)

„Zeiterfahrung gehört zu den Grundgegebenheiten des Menschseins. Der Mensch erfährt Zeit im Wandel und in den Tiefen seiner Selbst, als Fluch der Natur und als Leistung seines Geistes. Er kann die Zeit nicht so lassen, wie sie ihm geschieht… Indem er sich kulturell deutend mit ihr auseinandersetzt, erhebt er sich über die Zeit, versucht sie zu bannen und zu beherrschen, aber immer bleibt er ihrem Wandel unterworfen.“

Dieses Zitat aus dem von dem Historiker Jörn Rüsen herausgegebenen Essayband „Zeit Deuten“ thematisiert die grundlegende Frage, wie und vielleicht auch weshalb sich der Mensch mit Zeit auseinandersetzt. In einem Fach wie der Archäologie, das per definitionem zurück in die Zeit blickt, müssten solche Themen sowohl aus wissenschaftstheoretischer wie forschungsgeschichtlicher Sicht eigentlich zentral sein. Gavin Lucas „The Archaeology of Time“ zeigt dann auch Themen auf, die sich mit Zeit beyond chronology befassen. Dennoch wird der ‚Sinn der Zeit’ viel zu wenig reflektiert. Weshalb ist es bedeutsam den Anfang von etwas zu kennen? Warum brauchen wir Chronologiesysteme? Welches Bild der Zeit entwerfen wir in unserem Fach und für Wen? Noch schwierig zu untersuchen ist die Frage, welche Zeitkonzepte in der Vergangenheit vorhanden waren. Herrschten teleologische oder zyklische Geschichtsmodelle vor? Wie waren solche Konzepte auf die erfahrbare und messbare Zeit bezogen?
Zeiterfassung, Kollektives Gedächtnis und Monumentalität sind kulturelle Auseinandersetzungen mit Zeit, die mittlerweile schon länger in der Diskussion archäologischer Denkmäler auch jenseits explizit theoretischer Ansätze anzutreffen sind, vor allem seit Himmelsscheiben, Kreisgrabenanlagen, Pyramiden oder Henge-Monumente die astronomischen Bezüge prähistorischer Bauwerke deutlich werden lassen. Weshalb aber benötigten Menschen in der Vorgeschichte überhaupt ein Maß der Zeit? Lässt sich unser lineares Zeitverständnis dort wieder finden, oder sind es andere Zeitkonzepte, die ehemals maßgeblich waren? Ist es beispielsweise plausibel über ein Spurensuche-Paradigma nachzudenken? Der Mensch hat als Jäger gelernt Spuren zu lesen. In den Spuren sieht er in der Gegenwart in die Vergangenheit und trifft Entscheidungen zur Zukunft. Wohin gehe ich? Diese Fähigkeit, die irgendwann im Bereich des Tier-Mensch-Übergangsfeldes kulturhistorisch angelegt wurde, bestimmt sie auch heute noch unser Denken? Genauso das Bedürfnis sich gewissermaßen gegen die Zeit stemmen, indem mit der Errichtung von Memorialen Zeugnis hinterlassen von etwas, das zeitlos sein sollte und soll? Weshalb ist das so?
Nicht weniger bedeutsam ist die Auseinandersetzung mit der Zeit in der archäologischen Praxis. Wie kam man etwa dazu Zeit in Form von Stratigrafie räumlich zu denken? Welches Geistesgebäude verbirgt sich hinter einem relativ-chronologischen System? Welche interdisziplinären und transdisziplinären Arbeitsfelder gibt es, die sich mit der messbaren Zeit archäologischer Denkmäler befasst von der Physik, über die Dendrochronologie bis hin zur Chronobiologie?. Die Vergangenheit trägt als Bestandteil unseres Ursprungsdenkens zur Seinsstabilisierung bei. Determiniert diese Tatsache einerseits unsere Zeitkonzepte sowie das methodische Vorgehen? Und wie reproduzieren umgekehrt Archäologen in ihrer wissenschaftlichen Praktiken die bestehenden Zeitkonzepte? In Museen, Ausstellungen und Filmbeiträgen findet sich beispielsweise zunehmend anstelle der grand narrative die Thematisierung von Einzelereignissen. Weshalb?
Mit der Sektion Zeitkonzepte – Zeiterfahrung – Zeitgeist am 5. Deutschen Archäologentag in Bremen 2011 voraussichtlich am 3.-4. Oktober 2011 widmet sich die Theorie-AG verschiedenen Aspekten des Themas Zeit in der archäologischen Forschung. Ein Anlass dazu ist unter anderem das zwanzigjährige Bestehen der AG – As time goes by.

  • Typologie von Zeitkonzepten in Anlehnung an Jörn Rüsen oder Norbert Elias, bei denen es zentral um die Frage der Sinnbildung und die Bewältigung von Zeit geht.
  • Zeitkonzepte in verschiedenen Kulturen und Epochen.
  • Kulturelles Gedächtnis als Umgang mit der Zeiterfahrung in Anlehnung an die bekannten Ideen von Jan Assmann oder Paul Connerton. Thematisiert werden könnte auch der Aspekt eines ‚Widerstands’ gegen die Zeit beispielsweise als Antrieb zur Errichtung von Monumentenals überzeitliche Phänomene
  • Zeiterfassung im Altertum. Welche sozialen Bedürfnisse nach Ordnung in der Zeit stecken hinter Phänomenen wie Himmelsscheiben, Kreisanlagen u. ä.?
  • Das Umgehen der ArchäologInnen mit der Zeit oder Zeitgeist als Konzept. Typologie, Stratigraphie, Chronologie? Lassen wir uns durch visuelle Ähnlichkeiten dazu verleiten, zeitliche Übereinstimmungen zu konstruieren?
  • Die Vermittlung von Zeit – auch der Versuch diese zu überbrücken – durch die archäologische Praxis und im Museum.
  • Der Anfang: Warum die Suche nach dem ältesten ….? Was motiviert die Frage nach den Anfängen, unser Ursprungsdenken?
  • Wohin? Können wir uns überhaupt aus unserer Zeit lösen? Warum ist es wichtig, sich heute mit vergangenen Zeiten zu befassen? Sind die überhaupt vergangen?

 

Interessenten können sich an Sabine Reinhold unter sabine_reinhld{at}hotmail.com oder sr{at}eurasien.dainst.de wenden.

Literatur Anregungen
Paul Connerton (1989), How societies remember. Cambridge: Cambridge University Press.
Gavin Lucas (2005), The archaeology of time. London, New York: Routledge.
Sonderheft “Time and Change in Archaeological Interpretation”. Cambridge Archaeological Journal 18, 2008.
Jörn Rüsen (Hrsg.) (2003), Zeit Deuten: Perspektiven – Epochen – Paradigmen. Bielefeld: Transcript.
Klaus E. Müller (1999), Die fünfte Dimension: soziale Raumzeit und Geschichtsverständnis in primordialen Kulturen. Göttingen: Wallstein.
Johannes Fabian (20003), Time and the Work of Anthropology. Critical Essays 1971-1991. Harwood Academic Publishers: Amsterdam.