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Programm „From Different Worlds – Interdisziplinäre Kombination und Adaption von Theorien in den Altertumswissenschaften“

Gemeinsamer Workshop des Instituts für Altertumswissenschaften, des Profilbereichs „40,000 Years of Human Challenges“ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Workshop-Reihe der AG TidA „Theory in Practice“

Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Fakultätssaal im 7. Stock der Naturwissenschaftlichen Fakultät, Johann-Joachim-Becher-Weg 21 (Campusgelände), 55128 Mainz
Datum: 31.01.–01.02.2025
Organisation:
Dr. Monika Zöller-Engelhardt (IAW | Ägyptologie, JGU Mainz)
Dr. Sarah Scoppie (LAD Regierungspräsidium Stuttgart)
Dr. Stefan Schreiber (Theoretische Archäologie, LEIZA, Mainz)
Tina Beck, M.A. (Ägyptologie, FU Berlin)

Der Workshop ist an ein Barcamp-Format angelehnt: Am ersten Workshop-Tag führt eine Keynote-Lecture in die Thematik ein, danach werden in 20-minütigen Vorträgen Herangehensweisen, bestpractice-Beispiele sowie Herausforderungen in der theoriegeleiteten Forschung präsentiert und mit dem Plenum diskutiert. Am zweiten Workshop-Tag bestimmen die Teilnehmerinnen selbst, zu welchen Aspekten vertiefender Input und Austausch gewünscht wird – in Kleingruppen werden dann konkrete Ansätze diskutiert, weiterentwickelt und „erprobt“. Am Nachmittag des zweiten Tages führen die Teilnehmerinnen ihre Ergebnisse wieder zusammen.
Wir laden alle Interessierten hierzu herzlich ein und insbesondere den zweiten Workshop-Tag aktiv mitzugestalten.

Die Teilnahme-Anmeldung ist bis 26.01.2025 per Email möglich: differentworlds@uni-mainz.de


PROGRAMM

Freitag, 31.01.2025

09:00 • Ankommen und Kaffee
09:30 • Begrüßung & Einleitung
09:45 • Keynote • Kerstin P. Hofmann (Frankfurt a.M.) • Kreatives ÜberSetzen? Zur (Weiter-)Entwicklung von Theorien und Konzepten aus Sicht einer prähistorischen Archäologin
10:30 • Raphael Berger (Basel) • Soziale Welten: Verflechten von Netzwerk-Theorien à la Posthumanismus
11:00 • Kaffeepause 
11:30 Mirja Biehl (Marburg)Grenzen und Potential der Anwendung von Theorien der Cognitive Science of Religion auf die Griechische Religion
12:00 Matthieu Götz (Berlin) Vernetzte Bilder
12:30Susanne Deicher (Wismar) Auerbachs Keller. Über die unerwartete Aktualität eines literaturwissenschaftlichen Ansatzes der 1930er Jahre für die Ägyptologie
13:00 • Mittagspause
14:30 Sabine Neumann (Marburg) Das Konzept des Social Imaginary und seine Adaption für die Untersuchung von antiker Religion
15:00 Johannes Bach (Würzburg) Geschichts- und Historiographietheorien als Chance für die Assyriologie
15:30 • Kaffeepause
16:00 Shumon T. Hussain (Köln) (Kybernetische) Makro-Archäologie der Technosphäre(n)
16:30 Stefan Schreiber (Mainz) Parasitäre Theorien oder interdisziplinäre Solidarität? Zu Mikropolitiken „archäologischer“ Theoriearbeit im Rahmen einer Eigenbeobachtung
17:00 Abschluss und Organisation der Barcamps

Samstag, 01.02.2025

09:30Ankommen und Kaffee
10:00Begrüßung, Einleitung und Organisation der Barcamps
10:20Spotlight 1: Monika Zöller-Engelhardt (Mainz)
10:30Barcamp-Runde 1
12:00Mittagspause
13:30Spotlight 2: Tina Beck (Berlin)
13:40Barcamp-Runde 2
15:10Vorstellung der Ergebnisse der Barcamp-Runden
15:45Abschlussdiskussion


ABSTRACTS

Kreatives ÜberSetzen? Zur (Weiter-)Entwicklung von Theorien und Konzepten aus Sicht einer prähistorischen Archäologin

Kerstin P. Hofmann, Römisch-Germanische Kommission Frankfurt a. M.

Aus Perspektive einer in verschiedenen Verbundforschungsprojekten arbeitenden prähistorischen Archäologin soll in diesem Beitrag der Umgang mit Theorien und Konzepten und ihre (Weiter-)Entwicklung thematisiert werden. Hierfür wird zunächst diskutiert, inwiefern wir es in den Altertumswissenschaften mit zahlreichen „different worlds“ nicht nur in Bezug auf Disziplinen zu tun haben; wobei die Fragen, was eigentlich fremd, anders und eigen bedeutet und vergleichbar ist, eine wichtige Rolle spielen. Danach soll der Blick auf Theorien und ihre Mobilität gelenkt werden: Was wird hierunter alles verstanden und was zeichnet diese aus? Anschließend werden verschiedene Arten des Transfers und der Transformation von Theorien sowie mögliche Ansätze, Vorgehensweisen und Hilfsmittel vorgestellt. Hierbei stellt sich auch immer wieder die Frage, wieviel Kreativität und Innovation, wieviel Reflexion, Prüfung und Rückbindung bzw. Einbettung gewünscht ist bzw. als notwendig betrachtet wird. Sich zwischen Universalität und Diversität bewegend wird dabei für ein wissensgeschichtlich fundiertes und dialogisches ÜberSetzen von Theorien und Konzepten plädiert.


Soziale Welten: Verflechten von Netzwerk-Theorien à la Posthumanismus 

Raphael Berger, Universität Basel

In den vergangenen Jahrzehnten sind in verschiedenen Disziplinen Netzwerkideen entwickelt und auf unterschiedliche Weisen angewandt worden. Einige dieser Ideen sind explizit posthumanistisch, dezentrieren den Menschen und können dadurch den Fokus auf Dinge, die Quellen der prähistorischen Archäologie, verschieben. Im Rahmen meiner Dissertation werde ich Ideen der Akteur*innen-Netzwerk-Theorie1 mit sog. Sozialen Netzwerkanalysen verflechten und dadurch eine konkrete Methodik entwickeln, um Soziale Welten in der unteren Thunerseeregion und über die Alpen hinweg zu untersuchen. So sollen Fragen nach sozialer Zugehörigkeit, Formen sozialer Ungleichheit und Differenzierung in der Siedlungs- und Bestattungsweise aus einer posthumanistischen Perspektive diskutiert und zentrale Begriffe für die prähistorische Archäologie neu konzeptualisiert werden. 

Das vom SNF geförderte Projekt startet im Oktober 2024 und im Rahmen des Workshops sollen erste konzeptuelle Entwürfe zur Diskussion gestellt werden.

  1. Der Begriff des Akteur*innen-Netzwerks wurde explizit für die Benennung archäologischer Akteur*innen entwickelt (Publikation in Vorbereitung) ↩︎

Grenzen und Potential der Anwendung von Theorien der Cognitive Science of Religion auf die Griechische Religion

Mirja Biehl, Philipps-Universität Marburg

In meinem Vortrag will ich kritisch hinterfragen, inwieweit bestimmte Theorien aus der Cognitive Science of Religion (CSR) auf die Forschung zu griechischer Religion, spezifischer auch zum Verhältnis von Natur und Kult in der griechischen Religion als Teil meiner Dissertation in der Klassischen Archäologie angewendet werden können. Dabei soll untersucht werden ob Theorien wie Minimally counterintuitive concepts (MCI) und Hyperactive agency detection (HAD) überhaupt auf antike bzw. griechische Religion (Heiligtümer, Kulte und Gottheiten) übertragen werden können, ob sie einen Beitrag zum Verständnis antiker Religion und der Erklärung überlieferter Phänomene liefern und auch ob es nötig bzw. möglich ist Veränderungen, Erweiterungen oder Einschränkungen der Modelle und Theorien spezifisch für antike bzw. griechische Religion vorzunehmen.


Vernetzte Bilder

Matthieu Götz, Freie Universität Berlin

Anhand des Entwurfs für eine Methode zur Rekonstruktion teilweise zerstörter Malereien in einem kürzlich freigelegten Mastabagrab in Dahschur/Ägypten soll gezeigt werden, dass sich strukturalistische Methoden für die Archäologie produktiv nutzen lassen. Anders als bei der von Claude Lévi-Strauss für die Sozialanthropologie entwickelten Strukturalen Anthropologie – die in den 1970er und 1990er Jahren versuchsweise auf archäologische Untersuchungen übertragen wurde – werden im hier vorgestellten Ansatz auch ontologische Analysen und spezifische (kulturelle) Verflechtungen berücksichtigt. Über die so erfolgte Einordnung der noch erhaltenen Malereien der Mastaba soll versucht werden, Aussagen über die nicht mehr vorhandenen Teile der Dekoration zu treffen.


Auerbachs Keller. Über die unerwartete Aktualität eines literaturwissenschaftlichen Ansatzes der 1930er Jahre für die Ägyptologie 

Susanne Deicher, Hochschule Wismar

Philippe Descolas Buch Les Formes du Visible. Une anthropologie de la figuration (2021) liegt Erich Auerbachs Aufsatz Figura (1938) titelgebend zugrunde. Unter „Figuration“ ist demnach nicht etwa das Gegenteil von abstrakter Kunst zu verstehen, sondern vielmehr eine aus dem antiken Konzept der ‚Gestalt‘ (Figura, Typos) entwickelte Kunst der Rhetorik und der „Figuraldeutung“ (Auerbach), aus der im Spätmittelalter ein Konzept des Kunstwerks als quasi-lebendiger, sprachbegabter Gestalt entstand. Die vier verschiedenen Typen einer „Ontologie“, die Descola in Par-delà nature et culture (2005) skizziert hatte, möchte der Autor aus den Kunstwerken der Kulturen der Welt deutend zurückgewinnen, wobei das Prinzip eines virtuellen Eigenlebens der Werke Beachtung findet.

Für die Ägyptologie ist dieser Entwurf einer Weltkunstgeschichte von großem Interesse. Mithilfe der von Descola vorgeschlagenen semiotischen Methodik kann, wie an einem Beispiel gezeigt werden soll, die im Fach lange hilfsweise als „Hieroglyphizität“ (H.W. Müller, Assmann, u.a.) etikettierte Sprachnähe vieler Kunstwerke präzise gefaßt und im Sinne einer Bildrhetorik gedeutet werden. 


Das Konzept des Social Imaginary und seine Adaption für die Untersuchung von antiker Religion 

Sabine Neumann, Marburger Centrum Antike Welt, Philipps-Universität Marburg

Wie lassen sich für eine multikulturell vorgestellte Antike Veränderungen in religiösen Praktiken und Vorstellungen in den sich wandelnden sozialen und historischen Gegebenheiten untersuchen? Wie verändern religiöse Akteur:innen durch ihr Handeln und speziell durch Institutionalisierungen ihre Gesellschaft(en)? Wie ‚konstruieren‘ wir, als heutige Forschende, antike Religion und produzieren dabei Prozesse der Orientalisierung im griechischen Kontext? 

In meinem Vortrag möchte ich das von dem Philosophen Cornelius Castoriadis geprägte Konzept des Social Imaginary vorstellen, um die fluide Natur antiker Religion zu beschreiben, indem über unidirektional gedachte Machtprozesse hinausgewiesen wird und stattdessen die kreativen Aspekte in interkulturellen Verflechtungen zwischen verschiedenen Kulturen und Gesellschaften erfasst werden. Das Imaginäre wird dabei als ein unabhängiger und konstitutiver Teil der sozialen Wirklichkeit vorgestellt und im Sinne Castoriadis’ als Hervorbringung von Sozialem verstanden. 


Geschichts- und Historiographietheorien als Chance für die Assyriologie

Johannes Bach, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

In den mesopotamischen Altertumswissenschaften haben sich, nach dem Auslaufen der letzten größeren fachinternen Diskussion des Themas vor ca. 20 Jahren, theoretische Zugänge zu Geschichte und Geschichtsschreibung bisher nicht fest etablieren können. Bei der Betrachtung assyriologischer „Definitionen“ etwa von Geschichtsschreibung fällt auf, dass viele Forscher*Innen sich oft auf nur ein oder ein paar definierende Merkmal konzentrieren, und das anstehende Material entsprechend filtern. Ohne einen theoretisch-methodologischen Unterbau, zudem auch die selbstkritische Analyse des eigenen „Geschichtenschreibens“ gehören muss, bleiben solche subjektiv bis manchmal naiven Ansätze wenig ergiebig. Gleichfalls finden sich immer noch rekonstruktionistische Geschichtsansätze, ebenso wie ein nur geringes Bewusstsein für die Tropologie der darstellenden Sprache oder die problematische Projektion des modernzeitlichen „Kollektivsingulars“ Geschichte auf alteritäre antike Kulturen. Ich möchte eine Reihe von Theorieansätzen vorstellen, mit denen die Verhältnisse in der Assyriologie vielleicht nicht sofort grundlegend reformiert, aber hoffentlich kontinuierlich hin zu einer größeren Bewusstheit der Problematiken verändert werden können. 


(Kybernetische) Makro-Archäologie der Technosphäre(n)

Shumon T. Hussain, MESH – Multidisciplinary Environmental Studies in the Humanities & Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität zu Köln

Im Brennglas gegenwärtiger Anthropozän-Diagnosen geht in den letzten Jahren unter dem Stichwort „Technosphäre“ ein Gespenst umher. Dieses Gespenst, auch wenn es die archäologische Forschung bisher kaum tangiert hat, droht eingeübte Gewissheiten und Vorgehensweisen zur Erforschung von Langzeitentwicklungen technisch-materieller Welten und deren Relevanz – angeblich eine Kernkompetenz archäologischer Fächer – bis aufs Mark zu erschüttern, ja teilweise sogar ad absurdum zu führen. Das hat zwei wesentliche Gründe: zum einen wirft der „tiefenzeitlich-geologische“ Zuschnitt von Technosphären die Frage nach Scale, Scope und Stratigraphie radikal neu auf und fordert eine ernstgenommene „makroarchäologische“ Perspektivierung ein; zum anderen insinuiert das Konzept eine gewisse, wenn auch historisch-situierte „Fremdaktivität“ technisch-materieller Totalitäten und wirft so das Problem von Komplexität, Pfadabhängigkeit und Selbstorganisation neu auf. Für die Archäologie birgt diese Perspektivenverschiebung erhebliches transformatives Potenzial, verspricht aber gleichzeitig einen zentralen und genuin archäologischen Beitrag zu einem wesentlichen Thema unserer Zeit.


Parasitäre Theorien oder interdisziplinäre Solidarität? Zu Mikropolitiken „archäologischer“ Theoriearbeit im Rahmen einer Eigenbeobachtung

Stefan Schreiber, LEIZA Mainz

Meist treffen in Vorbereitung und Durchführung archäologischer Theoriearbeit Haltungen des disziplinär Defizitären (in der Archäologie könne nicht bewiesen, niemand befragt werden) auf Haltungen des eigenen Defizitären („Muss ich jetzt alle theoretischen Aspekte anderer Disziplinen kennen, wie soll ich das auch noch leisten?“). Um dieser Haltung zur Perfektion und Vollständigkeit entgegenzuwirken, möchte ich Theoriearbeit nicht als einen geplanten Entwurf einer konsistenten Theoriearchitektur beschreiben, sondern den Blick auf vielfältige Mikropolitiken ko-konstitutiver und kollaborativer Theoriearbeit lenken. Solchen Mikropolitiken folgen nicht immer logisch-rationalen Intentionen und Gründen sowie disziplinären Erfordernissen, sondern sind durchzogen von einem Feld wechselseitiger Entscheidungen, Stimmungen, Poetiken und Affekte unterschiedlicher Ko-Akteur*innen. Sie spannen ein Feld auf, das ich einerseits mit Michel Serres’ Figur des Parasitären, andererseits mit einer Haltung interdisziplinärer Solidarität umreißen möchte.