Galerien

From Different Worlds: Interdisziplinäre Kombination und Adaption von Theorien in den Altertumswissenschaften – ein Bericht

Ein Beitrag von Monika Zöller-Engelhardt, Sarah Scoppie, Stefan Schreiber und Tina Beck

31.01.2025–01.02.2025

Gemeinsamer Workshop des Profilbereichs „40,000 Years of Human Challenges“ an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der Workshop-Reihe der AG TidA „Theory in Practice“ und des Arbeitsbereichs Ägyptologie des Instituts für Altertumswissenschaften

Organisation: Monika Zöller-Engelhardt, Sarah Scoppie, Stefan Schreiber, Tina Beck


Nach einer thematischen Einleitung durch Monika Zöller-Engelhardt im Namen des Organisationsteams arbeitete Kerstin P. Hofmann in ihrem umfassenden Keynotevortrag heraus, welche Forschungsschwerpunkte die Altertumswissenschaften im Vergleich zu anderen Disziplinen behandeln und machte dies explizit aus der Perspektive einer prähistorischen Archäologin. Sie veranschaulichte sehr gut, dass „Archäologien“ im Gegensatz zu anderen Disziplinen sehr breite Untersuchungsfelder mit großer zeitlicher Tiefe umfassen und widerlegte den Eindruck, Altertumswissenschaften würden Theorien ausschließlich aus anderen Forschungsfeldern übernehmen. Sie stellte fest, dass Nutzung und Adaption von Theorien fachfremder Disziplinen einer Übersetzungsleistung unterliegen und damit kein Schlüssel-Schloss-Prinzip darstellen, sondern als (subjektive) Interpretationen zu verstehen sind. Diesem Plädoyer für Theorien in der Archäologie und für die Kombination dieser folgten sieben konkrete Anwendungsbeispiele aus den Altertumswissenschaften [1].

Teilnehmer*innen des Theory in Practice-Workshops an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Raphael Berger stellte in seinem Beitrag die Formale Netzwerkanalyse und die Akteur*innen-Netzwerk-Theorie vor, die er im Rahmen seiner Dissertationsforschung zur Thunerseeregion verbindet. Mit diesem posthumanistischen Ansatz möchte er in der prähistorischen Archäologie traditionelle Perspektiven und Forschungen aus kapitalistischer Perspektive zu Handelsnetzwerken überwinden, um eine Alternative vorzuschlagen. Susanne Deicher rückte die Forschung von Erich Auerbach zur „Figura“ in den Vordergrund, bettete diese in die Forschungsgeschichte der Kunst-, Kultur- und Geisteswissenschaften ein und brachte sie mit Phillippe Descolas jüngerer Forschung zur „Figur“ in Zusammenhang. Anhand altägyptischer Fallbeispiele illustrierte sie den Vorteil eines solchen Figurbegriffs, der nicht funktionsgebunden, sondern deterministisch ist. Mirja Biehl stellte die Cognitive Science of Religion vor und lenkte das Augenmerk auf die Theorien Minimally counterintuitive concepts und Hyperactive agency detection und deren Verbindung zur Religion der griechischen Antike. Sabine Neumann fokussierte auf das Konzept des social imaginary für antike Religionen. Rituelle Praktiken werden mit Vorstellungen und Glauben verbunden, um so Akteur*innen sichtbar zu machen. Johannes Bach stellte in seinem Vortrag die Frage, wie man Theorie angemessen auf assyriologische Texte zur antiken Historiografie anwenden könne. Hierfür stellte er unterschiedliche Theorien der Geschichtsschreibung vor und brachte diese mit königlichen Texten zusammen, wobei er für eine selbstkritische, reflektierte Vorgehensweise bei der Anwendung/Übernahme/Übersetzung der Großtheorien der Geschichtsschreibung plädierte. Shumon T. Hussain beschäftigte sich mit Technologie und Ökonomie und stellt den Begriff der Technosphäre vor, was u. a. alle Artefakte (vom Menschen hergestellte Dinge) umfasste und einen neuen Analyseblick auf Steinwerkzeuge evozierte. Im letzten Vortrag des ersten Workshop-Tages reflektierte Stefan Schreiber die Nutzung von Theorien durch die vermeintlich gegensätzlichen Konzepte des Parasitären und der Solidarität. Dazu führte er in die Perspektive der Fadenspiele ein, welche auf Donna Haraway zurückgeht, um beide Konzepte zusammenzubringen und einen Blick auf gemeinsame Theoriearbeit jenseits von Disziplinengrenzen öffnet.

Nach den Vorträgen folgten konstruktive und lebhafte Diskussionen, die auch in den Pausen fortgeführt wurden. Am Abend ergaben sich hieraus erste Ideen, die als Ansatzpunkte für das Barcamp-Format des nächsten Tages dienten, die auf einem Barcamp-Board organisiert wurden. Der zweite Workshop-Tag widmete sich gänzlich den Barcamp-Diskussionrunden an Gruppentischen, vorab eingeleitet durch zwei Spotlight-Vorträge: Monika Zöller-Engelhardt stellte am Beispiel altägyptischer Grabanlagen die Übertragung des Konzepts der Sorge in Verbindung mit dem Konzept der Affordanz vor. Tina Beck problematisierte am Beispiel des Begriffs entanglement die unreflektierte Nutzung von Theorien durch ein vermeintlich allerklärendes Schlagwort.

Themenfindung für das Barcamp am zweiten Workshoptag

Auf dem Barcamp-Board wurden die von allen Teilnehmenden gemeinsam erarbeiteten zahlreichen Stichpunkte zu vier übergeordneten Themenbereichen geclustert: (1) Bildsprache, Gesellschaft, Imaginäre Wirklichkeit, Kognition, Ontologie und World-making; (2) Anwenden von Theorie, Universaltheorie, was ist Theorie, Nutzlosigkeit von Theorie; (3) Data Science, Rolle von Datenbanken in der Theoriebildung, (4) Entanglement, Sorge-Konzept, Mensch-Ding-Verflechtungen. Für die erste Barcamp-Runde wurden drei Diskussionsgruppen zusammengestellt. Die Teilnehmenden priorisierten auf dem Board die Themen, die sie zuerst diskutieren wollten. Für die erste Barcamp-Runde wurden die Themenbereiche 1 und 4 gewählt, wobei Thema 4 in zwei Gruppen aufgeteilt wurde. Die Ergebnisse der Diskussionen der einzelnen Barcamp-Gruppen wurden durch Poster oder Moderationskarten festgehalten. Es zeigte sich, dass die Diskussionen in ganz unterschiedliche Richtungen gingen und verschiedenste Möglichkeiten und Szenarien der Theorienutzung aufzeigten. Bemerkenswert war, dass sich die Diskussion der beiden Barcamp-Tische zu Entanglement bzw. Mensch-Ding-Verflechtungen in völlig unterschiedliche Richtungen entwickelten: Während eine Gruppe hauptsächlich Ian Hodders Forschung in den Vordergrund stellte, fokussierte die zweite Gruppe auf das Konzept der Sorge und leitete so zur Emotionsforschung über, welches als neues Thema (5) Emotionen für die anschließende Barcamp-Runde vorgeschlagen wurde. Für die zweite Barcamp-Runde wurden die Themen 2, 3 und 5 diskutiert.

Der Keynotevortrag, die Einzelvorträge und Spotlights sowie die kontroversen Diskussionen zeigten, dass die interdisziplinäre Kombination und Adaption von Theorien in den Altertumswissenschaften unerlässlich ist und zahlreiche Anknüpfungspunkte für zukünftigen Austausch offenließen.


[1] Der angekündigte Vortrag von Matthieu Götz entfiel krankheitsbedingt.

Programm „Die Dinge einmal anders betrachten / Looking at Things Differently“

Programm der Internationalen Konferenz „Die Dinge einmal anders betrachten – Neuer Materialismus in der Archäologie / Looking at Things Differently – New Materialist Approaches in Archaeology“

Gemeinsame Tagung der AG Theorien in der Archäologie (TidA) mit dem Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) in Mainz, dem Exzellenzcluster ROOTS und dem Marburger Centrum für Antike Welt (MCAW) vom 20.-21.03.2025.


Programm – Abstracts durch Ausklappen der Vortragsslots

Donnerstag 20.3.2025, Vortragssaal, LEIZA, Mainz

08:00–09:00 • Registration and Welcome

09:00–09:10 • Alexandra W. Busch (LEIZA) & Martin R. Renger (TidA) • Welcome

09:10–09:30 • Organizers • Introduction

Session: Ontologies of Past Worlds • Chair: Martin R. Renger

09:30–10:00  • Matthias Jung • „Neue Wege der Ontologie“ und ihr möglicher Beitrag zum archäologischen Erkenntnisfortschritt

Das vor einigen Jahren wiedererwachte Interesse an der Ontologie (oder besser: Ontologien im Plural) steht in einem komplexen Wechselverhältnis zu den vielfältigen Positionen innerhalb des Neuen Materialismus. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Versuchen der Restitution einer dezidiert philosophischen Ontologie (Harman, Meillassoux, Ferraris) und solchen der Rekonstruktion von Ontologien der Praxis im Sinne kulturspezifischer Seins- und Weltverständnisse. Zwei wichtige Stichwortgeber für eine Neukonzipierung der Ontologie im letztgenannten Sinne sind die Anthropologen Eduardo Viveiros de Castro und Philippe Descola, deren unterschiedliche Reformulierungen der Ontologie grundlegende Gemeinsamkeiten mit dem Neuen Materialismus aufweisen wie etwa die Kritik an Repräsentationalismus, die Betonung „flacher“ und „multinaturalistischer“ Ontologien, das Bemühen um die Herstellung von Symmetrien zwischen theoretischen und praktischen sowie westlichen und indigenen Ontologien, die Ablehnung starrer Dualismen wie Natur/Kultur, Subjekt/Objekt, materiell/immateriell etc. Ich möchte in meinem Beitrag der Frage nachgehen, ob diese Ontologien dabei helfen können, die Weltbilder prähistorischer Gesellschaften zu verstehen, ob also, mit anderen Worten, die archäologischen Quellen eine hinreichende Auflösung bezüglich der ihnen zugrundeliegenden Ontologien gestatten. Diskutiert werden sollen die dabei auftretenden methodischen Herausforderungen anhand von empirischen Beiträgen, die einen solchen Transfer herzustellen versuchen, wie beispielsweise Laurent Oliviers Übertragung einer „analogistischen“ Ontologie auf die Latènekultur.

10:00–10:30 • Sarah Bockmeyer • Places of Transformation AND Places of Remembrance. New Materialist Approaches to Different Burial Forms in the Early Neolithic Funnel Beaker Groups in Northwest Germany (3500 – 3000 BCE)

The early Neolithic Funnel Beaker groups in north-west Germany are not only known for building monumental megalithic burials, but contemporaneously buried some of their deceased in earthen burials of varying shape and form. This has so far been interpreted as a difference in status and wealth, though both types of burials have at times revealed elaborate architectural elements and large numbers of grave goods.

Using new materialist approaches in combination with studies of modes of relational personhood have revealed how the different burial forms served different functions within the transformation and remembrance of the deceased in Funnel Beaker society and furthermore allowed insights into the structure of the world within these groups.

This paper will use examples of my ongoing PhD study to demonstrate how new materialism can help understand how the world of the Funnel Beaker groups differed from our current narratives of the different forms of burial, and to enhance understanding of the roles the materials had in decision making processes in the past.

10:30–11:00 • Coffee Break

Session: Vibrant Matter(s) • Chair: Martin R. Renger

11:00–11:30 • Susan Greaney • Mapping Unequal Power Relations at Monument Complexes in Neolithic Britain

The concept of vibrant matter can apply not just to things, materials and objects, but also to places. Particular landscapes, geological features and traces of past activities can be actants, involved in relations with humans. For Neolithic monument complexes in Britain, I have found it productive to map the detail of these relations over place and time, beginning with a flat ontology that does not give humans primacy and being attendant to non-human actants, including places. These unfolding relations were often asymmetrical or unequal, and in this sense were relations of power, which can give us insights into beliefs and worldviews of Neolithic people. Monument complexes emerge as places where relations of power with other beings or things could be negotiated and worked through. However, to fully embrace post-humanism in New Materialist approaches, there needs to be acknowledgement that humans are differently involved in relations with non-human places, materials and things – and through these, with each other. Facing this challenge will allow us to think more about inequalities, asymmetries and power relations in the past. Three cases studies drawn from Neolithic Britain will illustrate these evolving ideas.

11:30–12:00 • Julia Ziener • Vitalität von Salz. Briquetage als künstlerisches Forschungsinstrument

Während Konzepte des Neuen Materialismus überwiegend theoretisch bleiben, liefert das vorliegende Projekt praktische Ansätze, wie die Vitalität (Bennett 2010)1 von Material im Rahmen einer künstlerischen Forschung ergründet werden kann.

Untersucht wurden zwei Industriestandorte Sachsen-Anhalts, an denen Salz als industrieller Rückstand in umliegende Gewässer geleitet wird. Durch einen interdisziplinären Ansatz wird das Salz in seinen historischen, kulturellen, sozioökonomischen und ökologischen Facetten kontextualisiert und als vitale Entität rekontextualisiert.

Zentrale Rolle trägt hierbei das Salzsiedewerkzeug, die Briquetage, welche die Solesalzgewinnung in der untersuchten Region auf die jungsteinzeitliche Bernburger Kultur (ca. 3100–2560 v. Chr.)2 datiert. Mithilfe von 3D-Scans wurde die 2500 Jahre alte Briquetage digital erfasst und mittels 3D-Keramikdruck reproduziert. Dieses Replikat ermöglicht einen performativen Akt, bei dem das zuvor von der Industrie abgegebene Salz aus den Flüssen extrahiert wird. Die Briquetage wird zu einem am Prozess involvierten Werkzeug, Objekt und Material, stellt somit einen „macro- and microactant“ (Bennett 2010, 23) dar und ist ebenfalls als vitaler Teil der Assemblage maßgeblich an der Wissensgenerierung beteiligt. Dies eröffnet innovative Perspektiven auf das Potenzial von archäologischen Artefakten als aktive Forschungsinstrumente. 

Das Forschungsprojekt verbindet nicht nur historische und zukunftsweisende Technologien, sondern macht die Vitalität des Salzes sichtbar. Die Erkenntnis, dass Material und materielle Praktiken die Entwicklung von Technologien beeinflussen, bildet einen wesentlichen Ansatz für zukünftige Konzepte über Materialität.

  1. Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Philosophin Jane Bennett formuliert in ihrem Buch “Vibrant Matter – a Political ecology of things” das Konzept eines vitalen Materialismus, welches die theoretische Basis des vorliegenden Projektes bildet.
  2. Vgl. Museum für Vor- und Frühgeschichte, „Giebichenstein, Sachsen-Anhalt, Deutschland“, in Eisenzeit: Europa ohne Grenzen 1. Jahrtausend v. Chr., Ausstellungskatalog St. Petersburg und Moskau (St. Petersburg, Moskau, Berlin, 2020), 349–50, 349.

12:00–12:30 • Kerstin P. Hofmann, Katja Rösler, Thomas Heide • So beständig wie Stein? Zu römischer Architektur und disiecta membra

As Durable as Stone? On Roman Architecture and disiecta membra

Steine gehören zu den ältesten festen Materialien, die auf der Erde existieren, und sind grundlegender Bestandteil natürlicher, aber auch anthropogen geprägter Landschaften. Heute wird Stein häufig mit Alter, Dauerhaftigkeit, Stabilität und Beständigkeit, mitunter auch Reichtum, Zivilisation und Urbanität assoziiert. Anhand der im Rahmen des Akademielangfristvorhabens „Disiecta Membra“ untersuchten römischen Steinarchitektur wollen wir mit Ansätzen des Neuen Materialismus diese Bedeutungszuschreibungen hinterfragen und zeigen, dass römische Steinarchitektur längst nicht so unveränderbar ist, wie oft angenommen. Vielmehr ist es für die Erforschung und Edition auch sogenannter disiecta membra – verstreuter Bauglieder – von zentralem Interesse, sie nicht als stabile und statische Entitäten, sondern als beständig in Transformation befindlich. Hierfür betrachten wir römische Steinarchitektur in seinen relationalen Bestimmtheiten – dem Auswas, dem Alter, der Größe, dem Gewicht, der Form und Oberflächenfarbe – und in ihren Affordanzen für in der Neuzeit mit dieser konfrontierten Akteuren. Diese existieren nicht unabhängig, sondern sind immer an Wahrnehmungshandeln geknüpft, und bieten Möglichkeiten, unterschiedliche Intra-Aktionen zu untersuchen und Ding-Geschichten als Transformationen von Assemblagen zu erzählen. Neben der Frage, was Stein an Aktionen evoziert, soll auch das Verhältnis zu römischer Steinarchitektur und ihren Baugliedern – Weiternutzung, Aneignung, Zerstörung, (Re-)Konstruktion und Wiederaufbau – beleuchtet werden.

12:30–14:00Lunch

Session: More-than-humans • Chair: Stefan Schreiber

14:00–14:30 • Lukas Kerk • Unkörperliche Körper – Ein postanthropozentrischer Blick auf die Archäologie materiell-diskursiver Erzeugungsknoten

Mit seiner posthumanistischen und postanthropozentrischen Ausrichtung sowie einer Betonung von performativen, flachen und relationalen Ontologien wirft der Neue Materialismus die grundsätzliche Frage auf, inwiefern (post-)moderne Konzeptualisierungen menschlicher Körper insbesondere im archäologischen Zusammenhang noch Bestand haben können. Das Überschreiten von Dualismen und der transversale Charakter neo-materialistischer Denkweisen bietet dabei die Möglichkeit, neue Perspektiven auf die Körper der Vergangenheit zu eröffnen und eine Vielzahl von Fragen zu formulieren: Welche transkorporalen Verflechtungen lassen sich archäologisch nachweisen? Wie wirken das Diskursive und das Materielle bei der Hervorbringung von Körpern zusammen? Welche multiplen Realitäten entstehen durch das Zusammenspiel von Körpern und anderen Dingen im Werden? Welche Praktiken der Grenzziehung sind bei der Assemblage menschlicher, nicht-menschlicher und mehr-als-menschlicher Körper zu beobachten? Insbesondere die archäologisch nachgewiesene dauerhafte Veränderung des Körpers in Form von Tätowierungen, geformten Schädeln, modifizierten Zähnen und weiteren liefert erkenntnisreiche Anhaltspunkte für die Anwendung von Prinzipien des Neuen Materialismus. Im Rahmen des Vortrags sollen am Beispiel archäologisch evidenter permanenter Körpermodifikationen in explorativer Weise Möglichkeiten einer Neubetrachtung menschlicher Körper vor dem Hintergrund neo-materialistischer Sichtweisen dargelegt werden.

14:30–15:00 • Uroš Matić • Eyes, Reed and the Distant Goddess: Ancient Egyptian Faience Kohl Tubes as Intraactive Objects

Ancient Egyptian black eye paint (msdm.t), widely referred to as kohl (from Arabic al-kuḥl), did not serve only a cosmetic function; it was also used as a remedy for eye diseases. Around 1550 BCE, tubes for storing small quantities of kohl were made from reed, wood, ivory, and, more popularly, faience. These tubes were often inscribed with private and royal names and titles and were found in royal and elite private burials, as well as in houses. The size, shape, and decoration of the faience tubes mimicked those of reed tubes. Drawing on New Materialist thinking, I propose that the choice of reed for the original concept and faience for imitations was not accidental—it entangled matter and meaning. In a well-known and celebrated myth, the returning Sun Eye goddess descends from the mountain and emerges from the reed of the marshes of the Nile Valley. She is transformed from enraged (red) to pacified (green), much like an eye treated with kohl. Thus, kohl tubes could have been a type of intraactive objects, ensuring that the effectiveness of kohl emerged from its relationship with the shape, decoration, material, and color of the tubes.

15:00–15:30 • Coffee Break

15:30–16:00 • Shumon T. Hussain • Zoomateriality

Multispecies archaeology is a maturing strand of research, dedicated largely to the complex entanglements of humans and nonhumans diagnosed to be irreducible to mere economic, adaptive, and/or caloric imperatives and ventures. Yet I argue that animal-oriented multispecies archaeologies – or “animal archaeologies” – at present lack proper attention to, or at least a coherent formulation of, the kinds of materialities they belabor. What is required is thus a productive notion of “zoomateriality”, allowing for the problem-oriented analysis of the affordances and potentialities of action and thought relational engagements with animal bodies, body-parts, and ecosystem agencies bring into focus. Clarification of the various dimensions and possibly kinds, perhaps even types, of zoomateriality therefore promises to elucidate what the claim that other animals are active participants of human history may entail (and what not). I explore some of these ideas in relation to Palaeolithic osseous technology and visual art, showcasing that taking more serious notice of the genealogical diversity of the material as well as the distinct materiality of variegated sentient subjects can open up novel empirical, conceptual, and interpretive avenues for archaeological inquiry.

16:00–16:30 • Raphael Berger • Beyond the Critique: Reconstructing the Human in Prehistoric Archaeology from a Posthuman Perspective

Post-humanist thought has de-centred the human and shifted the focus to material things. Actor-Network Theory (ANT), a post-humanist framework, treats all entities – humans and objects alike – as actors within networks. In contrast, the modern understanding of the human emphasizes autonomy and individuality, where humans are seen as free, self-contained ‘individuals’. Archaeologists, however, excavate human remains in the form of skeletons, which are actually ‘dividuals’ made up of 206 parts. Despite these differences, both contemporary and archaeological humans are labelled with the same term, ‘human’, implying equivalence. This paper adopts a post-human perspective, shifting the focus back to ‘humans’, looking at them differently and showing the significant differences between ‘contemporary humans’ and ‘archaeological humans’. In the second, more experimental part, the paper explores how we can deal with ‘humans’ in prehistoric archaeology using Actor-Network Theory.

16:30–17:00 Preview: Archaeological Museum LEIZA • Guide: Henriette Baron

18:00–19:00 • Keynote Ben Jervis • Becoming Urban and Enduring Urbanism in Later Medieval England

Urbanisation is a defining feature of the medieval period of Europe. In this paper I will explore what it meant to be, and to stay, ‘urban’ in later medieval England, drawing on new materialist and post-human ideas to reframe debates about how we define urbanity and to understand urban life as a process of difference making. A particular focus will be the introduction of a concept of endurance to these debates. Informed by Deleuze’s writing on temporality and exhaustion, and drawing on insights from a range of ideas from across the philosophical and social sciences, I will examine the ways in which ‘enduring’ relates to multiple temporalities, power dynamics and the labour of care and framing endurance as a socio-material process important both to the generation and sustenance of urban lives.

19:00 –20:00 • Reception

20:00 • Conference Dinner


Freitag 21.3.2025, Vortragssaal, LEIZA, Mainz

Session: Approaching Assemblages • Chair: Sarah Bockmeyer

09:00–09:30 • Martin R. Renger • Social Assemblages – Nothing Else Matters? Neolithisation in Southwest Asia as a Process of Becoming

During the great transformation to sedentary life in Southwest Asia early settling communities faced various challenges. Communitization or becoming a social settlement collective is one of them. In this becoming of communities, architecture is not only a mirror or an expression of these emerging communities but is a modus of them – in other words, architecture, and in particular early Neolithic monumental architecture, plays a crucial role in the formation of collectivity in these communities. It will be shown that the process of becoming a community initially involves an immaterial-intellectual step, namely in the necessity of asserting and fixing a unity where there is actually no unity, as collectives are heterogeneous, changeable and fluid. And because this imagined unity is counterfactual, it is dependent on systems of meaning and materiality, not least on architectures, artifacts and other forms of materialization such as symbols. In this context, the material dimension plays an integral role in the relational meshwork of human and non-material entities. It frames and is framed at the same time, it shapes and is shaped, it mobilises and is mobilised and is thus an involved – both affecting and affected – part of the process of becoming social assemblages. In this light, the Southwest Asian Neolithisation and early Neolithic can be conceived, understood and analysed as a process of becoming.

09:30–10:00 • Stefan Schreiber • Zusammenleben als Soziale Ökologie: Soziale Gefüge als emergente Effekte des sozialen Weltens

Living Together as Social Ecology: Social Assemblages as Emergent Effects of Social Worlding

Betrachtet man das Zusammenleben vor dem Hintergrund des Neuen Materialismus, ergeben sich deutlich andere Perspektiven. Der Neue Materialismus fokussiert auf Fluidität, Relationalität und Offenheit der Welt, die sich fortschreitend weiter konfiguriert. Dies geschieht durch grenzziehende, intra-aktive Praktiken (Barad), die ich in meinem Vortrag mit dem Prozess des Weltens (Haraway) zusammenbringen möchte. Dieses Welten ist immer zugleich grenzziehend und transversal, semiotisch und materiell. Als emergente Effekte entfalten sich hieraus mehr-oder-weniger-menschliche Akteur*innen, die sich in menschlichen, tierischen, pflanzlichen und dinglichen Instanzen materialisieren. Im wechselseitigen Welten bilden sich daraus komplexe Soziale Gefüge bzw. assemblages (Deleuze & Guattari, DeLanda).

In meinem Vortrag möchte ich Soziale Gefüge als theoretisches Angebot skizzieren, um Modi des Zusammenlebens zu thematisieren, die bisher als Gesellschaft, Gemeinschaft oder auch als Individuen verstanden wurden. Das Zusammenleben als ein „Miteinander-Werden“ Sozialer Gefüge mittels ihres Weltens möchte ich im Anschluss als Soziale Ökologie verstehen. Mein Beitrag soll als erster Schritt für einen integrativen sozialarchäologischen Ansatz dienen, der die Ansätze des Neuen Materialismus auslotet, statt sich auf Strukturanalysen zu beschränken. Dieser soll für die archäologische Forschung fruchtbar gemacht werden.

10:00–10:30 • Alessandra Manzini, Anne Hertzog, Stefano Biagetti • New Materialism in Cross-cultural Ethno-Archaeology: A Reframing of Matter and Agency Applied to Spiritual Landscapes

Drawing on the ongoing SPIRAL project, which aims to develop a cross-cultural study of spiritual landscapes and ‘sacred forest’ management practices, this paper seeks to contribute to the debate by highlighting key challenges identified during the methodological design process at the intersection of cross-cultural studies and new materialist approaches to empirical research. Following Haraway’s invitation to “stay with the troubles,” the paper addresses epistemological issues encountered when working with eHRAF archives. By examining regularities and behavioral patterns through quantitative methods, cross-cultural studies challenge the particularistic interpretations often employed by archaeologists. These studies seek to build a general model based on common patterns identified in ethnographically studied societies across various geographical contexts available in eHRAF. This paper operates at the intersection of quantitative ethnoarchaeological big data analysis and qualitative fieldwork methods, aiming for internal consistency in the research design.

Sacred forests, often considered merely cultural symbols or ecological spaces, are reinterpreted through the lens of new materialism as vibrant, active agents in human-nonhuman interactions, shaped by diverse cosmologies and spiritual practices. The term “sacred,” as referenced in the eHRAF literature, is particularly problematic due to its dualistic semantic connotations, which risks oversimplifying the complex relationships between humans and nonhuman entities. A multi-species approach and performative fieldwork will be applied to the study of forest management in selected case studies based on the premise that humans are part of a broader community of beings, which includes not only plants and animals but also ecological elements. This perspective challenges anthropocentric views of forest management by emphasizing the agency of nonhuman actors. Such a reframing raises new questions about the agency of things and the evolving entanglements between humans, nonhumans, and the material world, both in past and present landscapes.

Key questions that emerge from this transformative approach include: can past ethnographic records be reinterpreted through the lens of new materialism? How can we address anthropocentric biases in existing interpretations? What are the main differences and similarities between traditional material culture studies and those based on new materialism? And, how might the interpretation of sacred forest management practices and spiritual landscapes evolve through this new perspective?

10:30–11:00 • Coffee Break

11:00–11:30 • Sabine Neumann • Mehr als Kunst – Neomaterialistische Perspektiven für die Klassische Archäologie

Der Begriff der Kunst spielt in der Klassischen Archäologie nach wie vor eine wichtige Rolle im Selbstverständnis des Faches. Begründet in der kunsttheoretischen Debatte des 18. Jahrhunderts, in der die Eigensphäre der Kunst als eine allen äußeren Zwecken enthobene deklariert wurde, hat er sich im Lauf der Zeit innerhalb des Faches mehrfach gewandelt und Eingang in Theorieverständnis und Methodik gefunden. Im Rahmen dieses Vortrags wird gefragt, wie das durch den neuen Materialismus angeregte, veränderte Dingverständnis die klassisch-archäologische Forschung und ihren Kunstbegriff beeinflussen kann. Posthumanistische, neomaterialistische Perspektiven bieten die Möglichkeit einer offeneren, dynamischen Interpretation, die nicht auf menschliche Akteur*innen allein festgelegt ist. Ferner stellen sie traditionell westliche Denkweisen und Dichotomien in Frage, indem sie neue Formen des Zusammenlebens der Menschen in ihrer Umwelt und mit den sie umgebenden Dingen ausloten. In Hinblick auf die antike Kunst soll daher untersucht werden, inwieweit ein Kunstwerk nicht mehr durch innere ästhetische Eigenschaften, Authentizität oder die Person des Künstlers definiert, sondern durch Relationen mit seiner Umwelt hervorgebracht werden kann.

11:30–12:00 • Martin Nadarzinski • Die Museumssammlung zwischen Ruine und Assemblage. Neuer Materialismus und (post-)koloniale Provenienzforschung

Die Frage nach der Herkunft der Dinge in ethnographischen Sammlungen hat seit mehreren Jahren Konjunktur. Hierbei steht die Frage im Raum, wie mit dem kolonialen Erbe in deutschsprachigen Museen umzugehen ist, welches sich auch über die ehemaligen „völkerkundlichen“ Beständen hinaus in anderen Sammlungsinstitutionen finden lässt. 

Mit diesem Hintergrund beschäftigt sich der geplante Vortrag mit den theoretischen Besonderheiten der Untersuchung des kolonialen Erbes in ethnographischen Museumsammlungen. Innerhalb dieses Feldes liegt der Fokus oftmals auf einzelne Objekte oder gleichartige Konvolute. Demgegenüber stehen theoretische Ansätze, die die Museumsammlung als Netzwerk zwischen Menschen, Ding und Praxis versteht und analysiert, welche im Fokus des Vortrages stehen.

Um diese theoretischen Besonderheiten zu beschreiben, wird die Geschichte der ethnographischen Sammlung des Badischen Landesmuseums als deskriptiver Rahmen herangezogen. 

Diese Sammlung, begründet als Teil der großherzoglichen vereinigten Sammlung für Altertums- und Völkerkunde und 1919 in das neu gegründete Badische Landesmuseum übergegangen firmiert heute noch in Überresten in der Sammlung „außereuropäische Kulturen“ bzw. „WeltKultur/GlobalCulture“ in Karlsruhe. 

Die Besonderheiten dieser Transformationsprozesse stellen den Rahmen da, indem Auswirkungen der theoretischen Perspektive des neuen Materialismus auf das Phänomen der Museumssammlung untersucht und vorgestellt werden.

12:00–13:30Lunch

Session: (Dis)Entangling Objects and Categories • Chair: Sabine Neumann

13:30–14:00 • Merlijn Veltman • (Dis-)Assembling Typologies? Revisiting the “Dolphin-Amphora Earrings” from Funerary Contexts

The “dolphin-amphora earrings”, found in funerary contexts in Bactria (Central Asia) from 200 BCE – 100 CE, have traditionally been considered through cultural and processual lenses. They have become part of an archaeological typology, in which they are grouped together on the basis of their morphological features (i.e. an amphora-like body with dolphin handles). This has had major repercussions for their interpretation in funerary contexts. Invariably, the earrings are placed into representational categories: “Greek” or “elite”. The burials they are found in are interpreted through similar frameworks. However, typologies are only one part of the assemblage that is each distinct “dolphin-amphora earring”. Crucial differences in the form of each dolphin-amphora earring point towards diachronic relations pervading their assemblages.

This paper addresses the problematic nature of the restrictive typology imprinted upon these earrings. Using assemblage thought as a theoretical framework, this contribution will revisit the earrings as assemblages, laying bare the multiple-object that is the “dolphin-amphora earring”. From this perspective, novel, diachronic interpretations of the earrings as more-than-representative and more-than-typological emerge that provide invaluable knowledge of the earrings’ funerary context and Bactria as a whole in 200 BCE – 100 CE.

14:00–14:30 • Matthias Grawehr • My Precious, or, The Power of Beloved Things

The world of people and the world of things are bound by reciprocal forces. People affect things, but things also affect people.

In my presentation, I will address two objects that once held special meaning to individuals. It is well understood that people can imbue things with sentimental value; objects can connect humans with distant pasts, people, or places, opening up worlds of memories. Emotional bonds are thus an important dimension of human-thing relationships. Fortunately, there are often indications of past emotional connections. Through inscribing, continuous use, patching and above all, curation, humans take possession of things and make these emotional attachments intellegible to posterity. Conversely, beloved objects can also impact human lives. In my presentation, I will detail two Athenian vases were once given as gifts, as revealed by incised inscriptions. These objects have also been curated and were presumably cherished. Their respective decorations convey stereotypical concepts of the life of a young Athenian woman, challenging the recipient to emulate this vision of an ideal biography.

14:30–15:00 • Monika Zöller-Engelhardt • Of Categories and Concepts – New Approaches to ‘Small Finds’ from Ancient Egypt

So-called ’small finds‘ are an intrinsically interesting category of archaeological objects: the term usually covers small objects such as scarabs, figurines or tools – but reaches its limits with object types such as pottery and parts of pottery, small fragments of larger objects, reused items, micro debris or unworked objects that have evidently been used by humans. Researchers in the field of Ancient Studies make many prior assumptions about the ‘small finds’ found in excavations and museums, and have so far attempted to typologise them according to traditional classifications such as location, material or form, and to assign a basic function to each of them, often mixing formal criteria and interpretation. This approach is clearly inadequate. It leads to subjective, etic and ultimately biased classifications that obstruct our view of connections and functional interdependencies of ‘small finds’.

The presentation will first explore the scientific history of the classification of ‘small finds’ and will then propose a new definition. Taking the category of ancient Egyptian wooden funerary models as an example, focusing on figures and model tools, traditional Egyptological approaches to establishing classifications will be deconstructed to develop alternative concepts, drawing on the autological and heterological dimensions of “figures of aesthetic reflection” (Gerok-Reiter/Robert 2022), but extending the notions to include considerations of affordance and New Materialism. This change of perspective aims to break down the categorisation patterns imposed by modern research and to gain new insights into the functional diversity of these objects.

14:30–15:00 • Final Discussion

15:00 • Optional Excursion • Isis and Magna Mater Sanctuary


Venue
Leibniz-Zentrum für Archäologie
Ludwig-Lindenschmit-Forum 1
55116 Mainz
Germany

Organization
Sarah Bockmeyer (EXC ROOTS, Kiel)
Sabine Neumann (MCAW, Marburg)
Stefan Schreiber (LEIZA, Mainz)

Registration
service@leiza.de until 10th March 2025

Contact
If you have questions or comments?
E-mail: stefan.schreiber[ät]leiza.de

Kurzer Tagungsbericht “Archäologische Schulsammlungen: gestern – heute – morgen“

Ein Gastbeitrag von Judith Schachtmann

Teilnehmende der Tagung “Archäologische Schulsammlungen: gestern – heute – morgen“ im Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz

Wie wenig bislang über archäologische Schulsammlungen bekannt ist, zeigte die zweitägige Tagung im Mainzer Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) vom 15. bis 16. November 2024. Ausgerichtet von der AG Wissenschaftsgeschichte der AG Theorien in der Archäologie und dem LEIZA, präsentierten dreizehn Referentinnen und Referenten aus Deutschland und Österreich ihre Forschungsergebnisse. Neben historischen Darstellungen zur Entstehung von Schulsammlungen in Sachsen, Schlesien, Ostpreußen, Tirol und der Stadt Halle, wurden Beispiele zur heutigen Vermittlungsarbeit von archäologischen Sammlungsobjekten vorgestellt. Wie archäologische Erkenntnisse zukünftig in die Lehrer*innenausbildung und in den Schulalltag einbezogen werden könnten, veranschaulichten weitere Beiträge. Ein Highlight war der Abendvortrag Thomas Todes zum Thema Vorgeschichte im Schulfunk der späten 1920er und frühen 1930er Jahre. Anhand des Hörstücks „Haithabu, die alte Wikingerstadt“ (1929) des Kieler Vorgeschichtlers und Reichsbundmitgliedes Alfred Tode (1900–1996) für die Nordische Rundfunk AG (NORAG), das zu den ältesten erhaltenen Radioaufnahmen gehört, wurde die Dramaturgie und Wirkung der damaligen Hörspiele dargestellt. Reger fachlicher Austausch zwischen den einzelnen Vorträgen rundete die Tagung ab.

„Der Neue Materialismus ermöglicht eine gesamtheitliche Überholung unserer Interpretation der Vergangenheit; es handelt sich um ein Paradigmenwechsel für die Archäologie.“

Ein Gastbeitrag von Elena Dratva

Dr. Stefan Schreiber ist theoretischer Archäologe am Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) in Mainz, das zweitgrößte Forschungsinstitut für Archäologie in Deutschland. Mit Denkansätzen aus der theoretischen Strömung des „Neuen Materialismus“ sieht er Chancen für sein Fach. Im März 2025 ist zum Thema „Die Dinge einmal anders betrachten – Neuer Materialismus in der Archäologie“ erstmals eine Tagung im deutschsprachigen Raum angesetzt.

Ausgehend von der posthumanistischen Kritik am Anthropozän, die den rücksichtlosen Umgang des Menschen mit seiner Umwelt verurteilt, werden seit den 1980er Jahren Denkmodelle entwickelt, um die Hierarchien zwischen Menschen und Umwelt zu ebnen. Der Neue Materialismus ist eine Denkschule, die die Beziehung des Menschen zu Technologie, Natur und Umwelt neu interpretiert; das Verständnis von Gesellschaft wird ausgeweitet auf nicht-menschliche Partizipanten. Nach dieser Auffassung haben Pflanzen, Tiere und nicht-lebendige Gegenstände ihre eigene Wirkmacht und Teilhabe an gesellschaftlichen Strukturen und Phänomenen. Diesen nicht-menschlichen Akteuren wird ein „Eigenleben“ oder auch ein „Eigenwillen“ eingeräumt, den es mitzudenken gilt.

Stefan Schreiber nennt das Beispiel einer Grabungsstätte in Sachsenhausen, Oranienburg. Im Boden des ehemaligen Konzentrationslagers könnten gefährliche Überreste von medizinischen Experimenten sein, daher ist besondere Vorsicht geboten bei der Ausgrabung. „Plötzlich wirkt der Boden nicht wie ein passives, totes Feld, sondern eine leibhafte Bedrohung – der Boden wirkt als Akteur mit und beeinflusst, wie wir ihn untersuchen können.“ Genau diese Art und Weise, Einfluss zu nehmen, ist gemeint, wenn von Wirkmacht oder Eigenwillen der Dinge die Sprache ist. Aber es gibt auch banalere Beispiele aus dem Alltag. „Wer hat seiner Katze, seinem Auto noch keinen Namen gegeben?“, sagt Stefan Schreiber. „Die Dinge und nicht-menschlichen Akteure nehmen genauso Teil an uns wie wir an ihnen.“

Ein veränderter Kultur- und Realitätsbegriff könnte sich massiv auf archäologische Fragestellungen und Resultate auswirken, zumal materielle Überreste von menschlichen Leben im Zentrum der Untersuchungen stehen. Im Rahmen der geplanten Tagung möchte Schreiber den Neuen Materialismus als Werkzeug benutzen, um überholte Herangehensweisen langfristig umzudenken. Denn die Archäologie, ebenso wie verwandte Fächer der Ethnologie und Kulturanthropologie, fußt auf wissenschaftlichen Traditionen aus einer kolonialen und imperialen Vergangenheit. Mit seinen Ambitionen trifft Schreiber durchaus auf Widerstände im Kollegium. Unter anderem befürchten Archäolog:innen, dass kritische Denkansätze ihre erlernten Praktiken als obsolet erscheinen lassen. Alle Grundsätze über den Haufen zu werfen, sei aber keineswegs sein Ziel, betont Schreiber. Ihm sei nur wichtig anzuerkennen, dass verschiedene Zugänge zu Fragestellungen bereichernd seien, und wünsche sich mehr Experimentierfreudigkeit.

Die jüngeren Entwicklungen stimmen ihn dennoch hoffnungsvoll, dass sein Fach zu aktuellen und politisch relevanten Fragen beitragen kann. Wenn es darum geht eine Zukunft zu entwerfen, die weniger zerstörerisch für Mensch und Umwelt ist, kann die Archäologie Inspiration liefern: „Das Schöne an der Archäologie ist, dass sie keine Utopien schreibt, sondern Beweise liefert für Gesellschaftsmodelle, die schonmal ganz anders funktioniert haben.“

Der Gastbeitrag basiert auf einem Interview, geführt von Elena Dratva mit Stefan Schreiber am 25. September 2024 in Mainz

Tagung „Archäologische Schulsammlungen: gestern, heute und morgen“

Tagung der AG Wissenschaftsgeschichte der TidA gemeinsam mit dem Leibniz-Zentrum für Archäologie am 15.–16. November 2024 in Mainz

Mit dem wachsenden Interesse und der zunehmenden Professionalisierung der Archäologie Ende des 19. Jhs. und zu Beginn des 20. Jhs. (Klassische, Provinzialrömische, Prähistorische Archäologie) entstanden in Deutschland erste archäologische Schulsammlungen. In der Nachkriegszeit gerieten sie, im Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Schulsammlungen, zunehmend in Vergessenheit.

Trotz ihrer Bedeutung für die unterschiedlichen pädagogischen Konzepte im schulischen Umfeld sind in der Regel nur allgemeine Informationen über Schulsammlungen bekannt. Es fehlen vor allem detaillierte Aussagen zur Entstehung der Schulsammlungen bspw. wie, wann und von wem sie angelegt wurden und welchen Sammlungsschwerpunkten sie folgten. Welchen Themen und Inhalten widmeten sich die zahlreichen Schulausstellungen und welche Rolle nahmen die Schulsammlungen ein? Des Weiteren ergeben sich in diesem Zusammenhang Fragen nach dem Herstellungsort und der Herstellungsweise von Nachbildungen bzw. Modellen sowie deren Nutzung im Unterricht. Ebenso unklar ist auch, ob und wo sich die zahlreichen Sammlungen erhalten haben und welchen (Sammlungs-)Wert sie heute noch besitzen. Diesen und weiteren damit einhergehenden Themen widmet sich die Tagung.

TAGUNGSORT
Leibniz-Zentrum für Archäologie, Vortragssaal, Ludwig-Lindenschmit-Forum 1, D–55116 Mainz

ORGANISATION
Judith Schachtmann M. A. (LDA, Berlin)
Dr. Annette Frey (LEIZA, Mainz)
Dr. Jörg Drauschke (LEIZA, Mainz)
Reena Perschke M. A. (Berlin)

PROGRAMM

Freitag 15.11.
9:30 – 9:40 Uhr
Begrüßung: Organisationsteam

9:40 – 10:00 Uhr
Judith Schachtmann/Reena Perschke (Berlin): Archäologische Schulsammlungen – eine kurze Einführung

Moderation: Jörg Drauschke

10:00 – 10:30 Uhr
Miriam Sénécheau (Freiburg): Vom Original zum virtuellen Raum: Die „Replikensammlung Geschichte und Archäologische Sammlung Punin“ der Pädagogischen Hochschule Freiburg

10:30 – 11:00 Uhr
Matthias Baumann (Freiburg, online): Geschichtsvermittlung mit interaktiven Medien und Virtual Reality

11:00 – 11:30 Uhr – Pause

Schulsammlungen gestern

11:30 – 12:00 Uhr
Markus Walz (Leipzig): Forschende Lehrer, grabende Schüler zwischen Museums- und Schulgeschichte

12:00 – 12:30 Uhr
Tom Gärtig/Thomas Grunewald (Halle): Die „Antiquitäten“ in der Kunst- und Naturaliensammlung der
Franckeschen Stiftungen – eine unbekannte Sammlungsgeschichte

12:30 – 14:00 Uhr – Mittagspause

Moderation: Judith Schachtmann

14:00 – 14:30 Uhr
Reena Perschke (Berlin): Vorgeschichte in den Geschichtsunterricht – historische Grundlagen für Schulsammlungen mit Beispielen aus Schlesien

14:30 – 15:00 Uhr
Heino Neumayer (Berlin): Schulsammlungen in Ostpreußen. Auf der Suche nach der verlorenen Archäologie

15:00 – 15:30 Uhr – Pause

15:30 – 16:00 Uhr
Annette Frey (Mainz): Kopien und Modelle aus dem RGZM in Schul- und anderen Sammlungen

16:00 – 16:30 Uhr
Florian Martin Müller (Innsbruck): Archäologische Sammlungen an geistlichen Schulen in Nord- und Südtirol Archäologie und Unterricht

16:40 – 17:20 Uhr
Thomas Tode (Hamburg): „Deutsche Vorgeschichte im Schulfunk“. Alfred Todes archäologische Hörspiele 1929–1933 (mit Hörbeispielen)


Samstag 16.11.
Schulsammlungen heute und morgen

Moderation: Reena Perschke

09:30 – 10:00 Uhr
Bernd Wagner (Leipzig): Historisches Sachlernen in schulbezogenen Sammlungen

10:00 – 10:30 Uhr
Juliane Lippok (Berlin): Die Dauerausstellung Schulgeschichte:n. Neue Vermittlungsansätze im Kulturhistorischen Museum Magdeburg

10:30 – 10:45 Uhr – Pause

10:45 – 11:15 Uhr
Christopher Staab (Leipzig): Die Historisch-Archäologische Schulsammlung an der Max-Klinger-Schule in Leipzig

11:15 – 12:00 Uhr – Abschlussdiskussion

12:15 Uhr – Führung durch das LEIZA

Verabschiedung

CFP „Die Dinge einmal anders betrachten – Neuer Materialismus in der Archäologie“

Gemeinsame Tagung der AG Theorien in der Archäologie (TidA) mit dem Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) in Mainz, dem Exzellenzcluster ROOTS und dem Marburger Centrum für Antike Welt (MCAW) vom 20.-21.03.2025

Sind die Dinge noch so, wie wir denken? Die Archäologie und verwandte Wissenschaften beschäftigen sich maßgeblich mit materieller Kultur, doch haben die Dinge neuerdings ein „Eigenleben“ gewonnen. Perspektiven aus der Forschung des Neuen Materialismus haben das humanistische Wissenschaftsverständnis auf den Kopf gestellt. Dinge sind mehr als nur von und für Menschen gefertigte Objekte, sondern Dingversammlungen, Assemblagen und materielle Formen des Zusammenlebens. In unserer Tagung gehen wir über ein Verständnis von Dinge als Bedeutungsträger, Symbole oder Medien hinaus und wollen neue Perspektiven in die wissenschaftliche Diskussion einbringen.

Ausgehend von den philosophischen Arbeiten von Gilles Deleuze, Felix Guattari und anderen gibt es verschiedene Ansätze zu einer posthumanistischen Bewertung von Dingen, die ein ganzes Spektrum neuer Perspektiven einbringen: von relationalen Verflechtungen, über multiple Ontologien bis hin zu Vorstellungen von vibrant matter. Der in diesem Zusammenhang ausgerufene Ontological Turn, der auf die potentiell sehr unterschiedlichen Weltanschauungen und Realitäten fokussiert, rückt die veränderte Rolle von Menschen, anderen Lebewesen, Dingen und Konzepten in den letzten Jahren in den Blick archäologischer Theoriebildung.

Die theoretischen Positionen des Neuen Materialismus haben u. E. gemeinsam, dass sie die Dingeauf andere Weise betrachten und ernstnehmen: 1) Dinge waren und sind aktiv an sozialen Prozessen beteiligt und keine passiven Objekte; 2) Dinge sind mehr als Materie und ihre Bedeutung; sie sind transformierende, lebhafte, eigensinnige Kräfte, deren Potentiale oft unverfügbar bleiben können; 3) Materie bildet keine stabilen und statischen Entitäten sondern befindet sich im ständigen Fluss. Diese drei Aspekte verweisen auf die Notwendigkeit, bestehende Vorstellungen dualistischer und dichotomischer Trennungen wie Natur /Kultur, Körper / Geist, materiell / sozial oder lebendig / tot theoretisch zu überarbeiten.

Für ein relationales und dynamisches Verständnis materieller Welten werden daher auch neue Konzepte benötigt, wie Kollektive, soziale Gefüge, Assemblagen / agencements, Netzwerke und Material Flows. Diese legen den Fokus auf die Veränderungen, Beziehungen und Emergenzen, anstatt auf essentialistische Eigenschaften und autonome Entitäten.

In der Archäologie konzentrieren sich diese Ansätze in der Regel auf die Ontologien vergangener Gesellschaften und die Art und Weise, wie sie ihre Welt(en) betrachteten und lebten. Dazu werden oft Querverbindungen zu verwandten theoretischen Ansätzen gezogen. Das betrifft z. B. den Neuen Animismus, Feministischen Materialismus, Neuen Vitalismus, Multispecies-Ansätze, Theorien der Inter- und Transkorporalität, oder Assemblage-Theorien. Mithilfe solcher Ansätze wird untersucht, wie Dinge in archäologisch untersuchbaren Zusammenhängen materialisiert, transformiert, platziert, behandelt, eingebettet oder bewahrt wurden.

Mit unserer Tagung wollen wir genau solche archäologischen Anknüpfungen thematisieren und die Dinge einmal anders betrachten:

  • Wie lässt sich unter der Forschungsperspektive des Neuen Materialismus das Zusammenleben von Menschen, Tieren und Dingen in der Vergangenheit neu verstehen?
  • Welche Auswirkungen hat der Neue Materialismus auf archäologisches Arbeiten wie Ausgraben und Kategorisieren, Restaurieren und Konservieren, Interpretieren und Quantifizieren, Konzeptualisieren und Theoretisieren sowie Ausstellen und Vermitteln?
  • Welche neuen Herausforderungen und Zugangsweisen, Fragestellungen und Perspektivenergeben sich aus der Perspektive des Neuen Materialismus?
  • Wie stellt sich Archäologie jenseits von Dualismen in einer relationalen Denkweise dar?

Wir akzeptieren Beiträge für die zweitägige Tagung, die sich z. B. mit folgenden Aspekten in Bezug zum Neuen Materialismus auseinandersetzen: posthumanistische Narrative, Assemblagen, archäologische Kategorien, Körperverflechtungen, Architektur, Kunst. Zugleich sind auch Beiträge zum Einfluss des Neuen Materialismus auf archäologische Aufzeichnungen, Ausgrabungen, und Merkmalsbildungen willkommen.

Vorschläge für Vorträge oder Poster können mit einer maximalen Anzahl von 200 Wörtern bis zum 15.12.2024 an newmaterialism@posteo.de gesendet werden.

Eine Publikation der Tagung ist geplant.

Keynote Speaker: Ben Jervis (University of Leicester, UK)

Organisation: Sarah Bockmeyer (EXC ROOTS, Kiel), Sabine Neumann (Marburger Centrum AntikeWelt, Marburg), Stefan Schreiber (LEIZA, Mainz

Empfohlene Literatur:

  • Barad, Karen. 2007. Meeting the Universe Halfway: Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning. Durham, London: Duke University Press.
  • Ben nett, Jane. 2020. Lebhafte Materie: Eine politische Ökologie der Dinge. Berlin: Matthes & Seitz.
  • Deleuze, Gilles and Felix Guattari. 1997. Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin: Merve.
  • Haraway, Donna J. 2018. Unruhig bleiben: Die Verwandtschaft der Arten im Chthu/uzän. Frankfurt a. M., New York: Campus.
  • Harris, Oliver J. T. 2021. Assembling Post Worlds: Materials, Bodies and Architecture. Abington, New York: Routledge.
  • Hoppe, Katharina and Thomas Lemke. 2021. Neue Materialismen zur Einführung. Hamburg: Junius.
  • Jervis, Ben. 2018. Assemblage Thought and Archaeology. Abingt on, New York: Routledge.

CFP „From Different Worlds – Interdisziplinäre Kombination und Adaption von Theorien in den Altertumswissenschaften“

Ein gemeinsamer Workshop in der Reihe „Theory in Practice“ der AG Theorien in der Archäologie (TidA) und des Profilbereichs „40,000 Years of Human Challenges“ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz vom 31.01.2025–01.02.2025


Die altertumswissenschaftlichen Fächer nutzen für ihre Analysen häufig Theorien und Methoden anderer wissenschaftlicher Disziplinen, seien es die Kognitionswissenschaften, Psychologie, Linguistik, Soziologie, Kunstgeschichte und viele mehr. Oftmals werden diese Theorien eklektizistisch ausgewählt, unverändert angewandt oder nur geringfügig adaptiert. Besonders spannend wird es aber, wenn die Altertumswissenschaften Theorien und Methoden anderer Disziplinen entlehnen, kombinieren, übersetzen oder in anderem Kontext neu entworfen werden. Durch die innovative Kraft der Altertumswissenschaften können so Forschungsbereiche weiterentwickelt und neu gedacht werden. Hierzu bietet die Erforschung der Vormoderne ein ideales Feld, das einerseits eine longue-durée-Perspektive bietet, aber auch synchrone und diachrone vergleichende Betrachtungen ermöglicht.

Der Workshop möchte ausloten, wie, warum und in welchen Bereichen altertumswissenschaftliche Fächer theoretische Grundlagen neu definieren, vorhandene Theorien und Ansätze adaptieren oder kombinieren, die zuvor noch nicht zusammen gedacht wurden. Ansprechen möchten wir Wissenschaftler*innen, die in ihren Forschungen methodische oder theoretische Überlegungen anderer Forschungsbereiche adaptieren, weiterentwickeln oder neu zusammenfügen möchten. Im Fokus steht das Spannungsfeld zwischen dem innovativen Potential der Altertumswissenschaften und der Operationalisierbarkeit von theoretischen Ansätzen.

Der Workshop ist an ein Barcamp-Format angelehnt: Am ersten Workshop-Tag führt eine Keynote-Lecture in die Thematik ein. Danach besteht die Gelegenheit, in 20-minütigen Vorträgen die eigene Herangehensweise, best-practice-Beispiele sowie Herausforderungen in der theoriegeleiteten Forschung zu präsentieren und mit dem Plenum zu diskutieren. Am zweiten Workshop-Tag bestimmen die Teilnehmer*innen selbst, zu welchen Aspekten vertiefender Input und Austausch gewünscht wird – in Kleingruppen werden dann konkrete Ansätze diskutiert, weiterentwickelt und „erprobt“. Am Nachmittag des zweiten Tages führen die Teilnehmer*innen ihre Ergebnisse wieder zusammen.

Wir möchten Altertumswissenschaftler*innen aller Disziplinen einladen, sich am Workshop zu beteiligen. Bitte senden Sie uns einen Titel und ein Abstract (max. 1000 Zeichen) Ihres geplanten Vortrags bis zum 30. Juni 2024 an differentworlds[at]uni-mainz.de. Wir informieren zeitnah nach der Deadline über die Annahme der Einreichungen. Vorträge sind auf deutsch oder englisch möglich. Wir ermuntern dezidiert junge Wissenschaftler*innen (praedoc/postdoc) sich mit einem Beitrag zu bewerben.

Wir bitten auch um eine Anmeldung für eine Teilnahme ohne Vortrag. Senden Sie uns hierzu bitte eine E-Mail an differentworlds[at]uni-mainz.de.

Anteilig können Reise- und Übernachtungskosten in begründeten Fällen beantragt werden. Wir bitten diesen Bedarf möglichst bereits zusammen mit dem Abstract anzugeben.

Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Fakultätssaal im 7. Stock der Naturwissenschaftlichen Fakultät, Johann-Joachim-Becher-Weg 21 (Campusgelände), 55128 Mainz
Datum: 31.01.–01.02.2025
Organisation:
Dr. Monika Zöller-Engelhardt (IAW | Ägyptologie, JGU Mainz)
Dr. Sarah Scoppie (LAD Regierungspräsidium Stuttgart)
Dr. Stefan Schreiber (Theoretische Archäologie, LEIZA, Mainz)
Tina Beck, M.A. (Ägyptologie, FU Berlin)


Download des CfP als pdf

„Theorie | Archäologie | Reflexion 1: Kontroversen und Ansätze im deutschsprachigen Diskurs“ – jetzt online

Teilband 1 des Sammelbandes „Theorie | Archäologie | Reflexion: Kontroversen und Ansätze im deutschsprachigen Diskurs“ wurde am 18.10.23 veröffentlicht und ist ab sofort open access verfügbar unter: https://doi.org/10.11588/propylaeum.1092.

Das Buch ist auch als Print-On-Demand erhältlich und kann unter der Adresse book-orders@ub.uni-heidelberg.de erworben werden.

Es ist zugleich der erste Band der neu gegründeten TidA-Reihe „Theoriedenken in der Archäologie“: https://books.ub.uni-heidelberg.de/propylaeum/catalog/series/tida.

Den Herausgebern, Autor*innen und allen, die am Entstehen des Bandes und der Reihe mitgewirkt haben, herzlichen Glückwunsch und ein großes Dankeschön.

Frohes Lesen und viele Anregungen.

Programm „MATERIELLE PERSPEKTIVEN ZU ALTER & ALTERN IN DER ARCHÄOLOGIE“

Generiert mittels des Sektionstitels durch die KI Craiyon

Programm der Sektion der AG TidA auf der Verbandstagung des WSVA/MOVA/NWVA in Tübingen am 25.9.2023 (download als pdf), organisiert durch Stefan Schreiber, Martin Renger und Tina Beck

Materielle Perspektiven zu Alter & Altern in der Archäologie. Soziale & somatische Beziehungen zwischen Menschen & Dingen


Montag 25.9.2023, Uni Tübingen, Neue Aula, Raum 05

09:30–10:00 • Martin Renger, Tina Beck & Stefan Schreiber • Materielle Perspektiven zu Alter & Altern in der Archäologie. Eine Einführung

10:00–10:20 • Stefan Scheiber • Zusammen-Alt-Werden. Ontologische Überlegungen zu materiellen Biopolitiken des Alterns

10:20–10:30 • Diskussion

10:30–11:00Kaffeepause

11:00–11:20 • Brigitte Röder • Ein Forschungsfeld in Kinderschuhen: ältere Menschen in der Urgeschichte

11:20–11:30 • Diskussion

11:30–11:50 • Eva Stauch • Alt werden im Frühmittelalter

11:50–12:00 • Diskussion

12:00–12:20 • Karina Iwe • Vorstellungen zu Alter & Altern in der bei den skythenzeitlichen Reiternomaden – lässt sich hierzu überhaupt eine zuverlässige Aussage treffen?

12:20–12:30 • Diskussion

12:30–14:00Mittagspause

14:00–14:20 • Philipp Tollkühn • Alter als Thema in der musealen Bildung und Vermittlung

14:20–14:30 • Diskussion

14:30–15:30 • Tina Beck & Martin Renger • Spotlights und Debatten

15:30–16:00 • Kaffeepause

16:00–17:30 • Mitgliederversammlung der AG TidA


Abstracts

Zusammen-Alt-Werden. Ontologische Überlegungen zu materiellen Biopolitiken des Alterns
Stefan Scheiber

Alt werden ist nicht nur ein biologischer Vorgang, sondern durchzieht auch soziale, politische und kulturelle Bereiche des Lebens. In meinem Vortrag möchte ich all diese Bereiche verbinden und sie als Biopolitiken des Alterns verstehen. Zur Untersuchung solcher (antiken) Biopolitiken stelle ich einige ontologische Überlegungen in den Mittelpunkt. In Anlehnung an die Konzepte des ‚Anders-Werdens‘ bei Gilles Deleuze und Rosi Braidotti, sowie des ‚Gemeinsamen Werdens‘ bei Donna Haraway versuche ich, Altwerden als ‚Zusammen-Alt-Werden‘, als einen nichtlinearen Prozess aus multiplen Brüchen, Verflechtungen, Relationierungen und Materialisierungen zu konzeptualisieren. Dieser wird durch die jeweiligen zu historisierenden materiellen Biopolitiken gesteuert, mit denen über das eigene und fremde Leben, dessen Regulierung, Verbesserung, aber auch Kontrolle, Optimierung und Ausbeutung entschieden wird. Dabei umfassen Biopolitiken einerseits Mikropolitiken sozialer Praktiken, die zwischen einer Vielzahl von Akteuren performativ reproduziert werden. Andererseits werden sie auch durch die Makropolitik gesellschaftlicher Praktiken der Subjektivierung reproduziert. Es gilt daher, für eine Konzeption des ‚Zusammen-Alt-Werdens‘ den Blick auf eben jene Biopolitiken zu werfen, da durch sie erst gemeinsame Erfahrungen des erlebten Miteinander des Altwerdens möglich werden.

Ein Forschungsfeld in Kinderschuhen: ältere Menschen in der Urgeschichte
Brigitte Röder

‚Alter‘ und ‚Altern‘ sind keine biologischen Tatsachen, sondern werden stets kulturell gedeutet. Deshalb beginnt prähistorische Altersforschung hier und heute – und zwar mit einer Reflexion der lokalen und historischen Situierung dieser Konzepte und ihrem potentiellen Einfluss auf die archäologische Forschung. Diese Klärung ist umso wichtiger, als die rund 3 Millionen Jahre lange Urgeschichte mündliche Gesellschaften betrifft, die keine schriftlichen Selbstzeugnisse hinterlassen haben. Andernfalls besteht die Gefahr, Wissenslücken mit heutigen Erfahrungen, Altersbildern und -stereotypen zu füllen.

Den unmittelbarsten Zugang zu individuellen und kollektiven Lebensverhältnissen älterer Menschen in der Urgeschichte erlauben sterbliche Überreste, die von der Prähistorischen Anthropologie im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand u.v.a.m. analysiert werden. Aufgrund methodischer Probleme bei der osteologischen Altersschätzung wurden das maximal erreichbare Lebensalter, die mittlere Lebenserwartung und der Anteil älterer Menschen bislang deutlich unterschätzt. Dank verbesserter methodischer Ansätze und neuer paläodemographischer Studien werden diese Fehleinschätzungen nun korrigiert.

Zwar liegen erst wenige Fallstudien vor, doch es zeichnet sich bereits ab, dass auch für die Urgeschichte mit vielfältigen Formen des ‚Älterwerdens‘ und des ‚Altseins‘ zu rechnen ist. Ausserdem verändert Altersforschung den Blick auf prähistorische Gemeinschaften. In der Folge entstehen neue Forschungsfragen – z. B. nach der Bedeutung älterer Menschen in mündlichen Gesellschaften für die Tradierung von kulturellem Wissen, im Hinblick auf ihre Rolle bei der Organisation des Lebensalltags sowie nach Sorgepraktiken und dem Generationenverhältnis. Auch wenn aufgrund der fragmentarischen Quellenlage manche Fragen nicht (restlos) beantwortet werden können, sind sie dennoch produktiv, weil sie ein komplexeres und damit auch realistischeres Bild von urgeschichtlichen Gemeinschaften generieren und zugleich eine Reflexion über ‚Alter(n) hier und heute‘ anregen.

Alt werden im Frühmittelalter
Eva Stauch

Individualität kann sich nur abzeichnen vor dem Hintergrund von Normen – also vor den in einer Gesellschaft üblichen Erwartungen und Verhaltensweisen. Der Vortrag unternimmt den Versuch, sich auf der Basis archäologischer Quellen an die im merowingerzeitlichen Süddeutschland geltenden Normen heranzutasten. Dabei stehen Normen des äußeren Erscheinungsbildes und Rollenerwartungen quellenbedingt im Vordergrund. Die Analyse von 1700 Erwachsenenbestattungen macht deutlich, in welchem Maß äußere Erscheinung und Rollenattribute an Geschlecht und Lebensalter der Bestatteten gebunden sind und eröffnet damit einen Blick auch auf die spezifische Situation alter Menschen. Die Studie offenbart das in der gemeinsamen Analyse archäologischer und anthropologischer Daten liegende Potential für sozial- und mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen und eröffnet den Weg in eine archäologische Lebenslaufforschung.

Vorstellungen zu Alter & Altern in der bei den skythenzeitlichen Reiternomaden – lässt sich hierzu überhaupt eine zuverlässige Aussage treffen?
Karina Iwe

Eine Auseinandersetzung mit skythenzeitlichen Reiternomaden im eurasischen Steppengürtel, und insbesondere mit der Pazyryk-Kultur, offenbart eine große materielle Bandbreite. Die organische Erhaltung in den Gräbern Südsibiriens beeindruckt sehr, doch fällt es schwer, trotz dieser bemerkenswerten Nachweise Rückschlüsse zu Konzepten und Vorstellungen von Altern und Alter bei den nomadisch geprägten Verbänden zu ziehen. Hier gilt es zu prüfen, welche Indizien Hinweise geben könnten.

Ein weiterer Aspekt zum Thema Alter & Altern sind Visualisierungen, die in Museen oder auch Publikationen präsentiert werden. Es sind im Bereich der Reiternomaden v.a. kraftstrotzende Darstellungen von Kriegern zu Pferden oder auch Männer der Elite mit ihrer reich bestückten Kleidung. Die Zeichnung des Mannes aus Aržan 2 (Tuva) soll näher vorgestellt werden. Eine mikroskopische Untersuchung seiner Knochen ergab Veränderungen, die typisch für Prostatakrebs sind. Und trotzdem zeigt die Visualisierung den Mann in einer Weise, die keine Rückschlüsse auf das Leiden bzw. die Gebrechlichkeit zulässt. In diesem Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden, ob das Altern und damit einhergehende körperliche Einschränkungen Eingang in Visualisierungen finden. Der Beitrag dient der Annäherung an das Thema Alter & Altern.

Alter als Thema in der musealen Bildung und Vermittlung
Philipp Tollkühn

Ein vollbärtiger Mann mit gräulichem langen Haar trägt eine Hirschgeweihmaske auf dem Kopf; ein ebenfalls vollbärtiger, grauhaariger Mann mit tiefen Falten im Gesicht formt eine Frauenstatuette – Museale Rekonstruktionen erzeugen und verfestigen Vorstellungen über die Vergangenheit bei Besucher*innen. Gleichzeitig sind sie auch Ausdruck dessen, wie sich Kurator*innen die Vergangenheit vorstellen. Im Haus Bastian – Zentrum für kulturelle Bildung der Staatlichen Museen zu Berlin wird ein anderes Konzept verfolgt. Das eigens konzipierten Überthema (Verstärkerthema) mit dem Titel „Was bist Du, Alter?“ im Jahr 2020 bot Besucher*innen Impulse und Fragen zum Thema Alter an, die diese dann mit künstlerischen Methoden eigenkreativ bearbeiten konnten. Es entstanden individuelle Reflexions- und Erkenntnisgewinne, die wiederum das Potential besitzen, wertvolle Impulse für die wissenschaftliche Betrachtung des Materials zu liefern. Im Vortrag wird das Konzept des Verstärkerthemas und der künstlerisch-praktischen Vermittlungsmethoden vorgestellt sowie die Ergebnisse und deren mögliche Nutzbarkeit in der Archäologie diskutiert.

CfP „Materielle Perspektiven zu Alter & Altern in der Archäologie“

Call for Papers zur Sitzung der AG Theorien in der Archäologie (TidA) auf der Tagung des West- und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung (WSVA) und des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung (MOVA) vom 25.–28. September 2023 in Tübingen zum Thema:

„Materielle Perspektiven zu Alter & Altern in der Archäologie. Soziale & somatische Beziehungen zwischen Menschen & Dingen“

[Download des CfP]

Altern und Altwerden können als grundlegende Herausforderungen der Vergangenheit, Gegenwart und auch Zukunft verstanden werden. Während das Thema Kindheit in der aktuellen archäologischen Forschung mittlerweile präsent erscheint, werden Fragen zu anderen Lebensphasen, insbesondere des Alters, Altwerdens sowie -seins und -bleibens immer noch sehr selten thematisiert. Trotz bioarchäologischer, anthropologischer und sozialarchäologischer Fundierungen der Archäologie fehlen speziell theoretische Ansätze zu diesem Themengebiet.

Unsere Sektion widmet sich daher theoretischen Aspekten des Alters und Alterns, ohne dabei ausschließlich auf Alter als biologische oder soziale Kategorie abzuzielen. Wir wollen gängige vereinfachende Stereotype wie Alter = Weisheit, = Gebrechlichkeit, = Macht, = Prestige/Wert usw. aufbrechen. Stattdessen möchten wir sowohl die Trennung als auch die Kategorisierung von biologischen oder natürlichen und sozialen oder kulturellen Prozessen grundsätzlich in Frage stellen. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass sich Materie, Körper und Praktiken in einem ständigen Prozess verflechten und transformieren. Daher verstehen wir Älterwerden und Altwerden als vielschichtige Veränderungen des Lebens, die nur in wechselseitigen und vernetzten sozialen, psychischen und somatischen Beziehungen zwischen Menschen und Dingen wirksam werden. Diese können z. B. die Tabuisierung oder Betonung des Altwerdens, die Ausprägung und Institutionalisierung von Sorgebeziehungen oder die Etablierung von Übergangsriten umfassen. Wir möchten mit dieser Sektion Ansätze beleuchten, um dieses Themenfeld zu erforschen. Ziel ist es, Alter und Altern zu konzeptualisieren und zu historisieren.

Dazu möchten wir einladen, theoretische und fallbeispielbezogene Beiträge einzureichen und beizusteuern. Anknüpfungspunkte können z. B. sein:

Ansätze zur Nichtlinearität des Alterns
֎ Fragen zur Materialität des Alters und Alterns
֎ Archäologische Perspektiven auf Kindheit und Elternschaft in Bezug auf das Altern
֎ Fragen zu materiell-diskursiven Praktiken des Altwerdens
֎ Biografisch-materielle /Life-Course-Ansätze
֎ Fragen zu Übergängen, Brüchen und Transformationen von Lebenswegen
֎ Methodologische Annäherung an Erfahrungen des Alt- und Älterwerdens
֎ Materielle und körperliche Konstellationen, die den Prozess des Alterns konfigurieren
֎ Fragen zu Geschlechtern und Diversity in Bezug zum Älterwerden

Wir würden diese Debatte gerne gemeinsam führen und freuen uns über deutsch- oder englischsprachige Beiträge. Wir laden Wissenschaftler*innen ein, die sich auf verschiedenen Ebenen mit Alter und Altern beschäftigen. Besonders willkommen sind auch Beiträge von Jungwissenschaftler*innen. An die Vorträge von 20 Minuten Länge soll jeweils eine 10-minütige Diskussion anschließen. Unsere Session findet eintägig auf der WSVA-Tagung in Tübingen (25.–28.9.2023) statt. Der genaue Sitzungstag wird noch bekanntgegeben.


Bei Interesse bitten wir bis zum 31.05.2023 um einen Abstract mit Vortragstitel (ca. 250 Wörter) und Kurzbiographie an: tuebingen[at]agtida.de. Die Tagungsanmeldung und Entrichtung der Tagungsgebühr erfolgt eigenverantwortlich. Eine Aufwandsentschädigung zur anteiligen Deckung von Reise-, Tagungs- und Übernachtungskosten kann in begründeten Fällen auf vorher genehmigten Antrag gezahlt werden. Wir bitten diesen möglichst bereits zusammen mit dem Abstract einzureichen.


Wir freuen uns auf spannende Beiträge!
Organisation: Stefan Schreiber, Martin Renger, Tina Beck