Vom 15. bis zum 17.11.2018 fand in Kooperation mit Anarchaeologie und unterstützt durch das Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie Hamburg an selbiger Universität der 2. jungwissenschaftliche Workshop der 2017 gegründeten Veranstaltungsreihe ›Theory in Practice‹ statt. Thema diesmal: »Anarchistische Ansätze und Archäologie. Vergangene Gemeinschaften, Methodenpluralismus und Wissensliberation«. Auch in diesem Jahr konnten wir Teilnehmer*innen unterschiedlicher Disziplinen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz zu unserer partizipativ angelegten Veranstaltung begrüßen.
Idee des Workshops war es grundsätzlich, etwa drei größere Diskussionsstränge fragend in den Blick zu nehmen. Zum einen interessierte auf analytischer Ebene, ob und wie sich Anarchismen und eventuell darauf abzielende Emanzipationsbewegungen in der Vergangenheit archäologisch nachweisen lassen. In abstrakter, metaarchäologischer Betrachtungsweise sollten zudem die Mechanismen der (archäologischen) Wissensproduktion und -weitergabe sowie Zugänglichkeit zu Wissen beleuchtet werden, da sie immer auch machtanfällig sind und dementsprechend ein Steuerungs- und Kontrollinstrument formieren können; gleiches gilt in ähnlicher Weise für Methoden zur Datengenerierung. Wie könnte nun eine Liberation durch eine De-Hierarchisierung aussehen? Bis zu welchem Punkt wäre dies notwendig, bis zu welchem weiterhin sinnvoll und vor allem für wen? Wie sähen Modelle der partizipativen Wissensentstehung und -vermittlung aus (Stichwort Prosument*innen)? Auf der dritten Ebene schließlich standen Fragen des Arbeitsalltages selbst im Mittelpunkt: Welche Autoritätsformen sowie Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse im archäologischen Alltag sind zu überwinden? Welche Rolle nimmt dabei die Organisation in Verbänden ein? Sind Begriffe wie Solidarität, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung in der Wissenschaft tragfähig?
Eine anregende und breit angelegte Podiumsdiskussion bildete am Donnerstagabend einen willkommenen sowie gelungenen Auftakt. Daniela Hofmann, Martin Furholt und Stephanie Merten diskutierten mit den Organisator*innen und dem Auditorium über emanzipative, partizipative und kollaborative Ansätze nicht nur in der Wissenschafts- und Forschungsstruktur, sondern ebenso in der außeruniversitären Arbeitswelt. Aber auch Aspekte zur Wissensvermittlung und -öffnung, Wissensweiter- sowie -freigabe bis hin zu Überlegungen auf analytischer Ebene, welche die vergangenen soziokulturellen Formationen und deren Organisationsmodi hinsichtlich etwaiger anarchischer Formen des Zusammenlebens in den Blick nahmen, waren Diskussionsthemen. Dabei wurde deutlich, dass auf allen Ebenen eine weitergehende und breit geführte Debatte nicht nur auf großes Interesse stößt und fruchtbar sein dürfte, sondern mitunter auch notwendig erscheint und teilweise erst noch angestoßen werden muss, um Chancen wie Potentiale im gemeinsamen Diskurs auszuloten, aber auch Herausforderungen sichtbar zu machen und etwaige Konzepte der Umsetzung zu erarbeiten.
Am zweiten Tag stand zunächst die Besprechung der im Workshopreader zusammengestellten Texte in Kleingruppen und die Präsentation der Ergebnisse dieser intensiven Beschäftigung im Fokus des Workshops. Darauf folgten im späteren Verlauf des Tages die inspirierenden Impulsvorträge mit ihren vielfältigen Themenschwerpunkten und deren Diskussion. Referiert wurde über Squattersiedlungen als alternative Raumaneignungspraxis in Südwestasien und deren Erforschungspraxis (Georg Cyrus) ebenso wie über flexible und situative Formen der sozialen Organisation und temporär beschränkten Machtkonzentrationen nicht-bäuerlicher Gemeinschaften (Wiebke Mainusch). Ein Impuls wandte sich dem Thema der Dezentralität, Solidarität und ökonomischen Ungleichheit aus ethnoarchäologischer Perspektive am Beispiel der Naga-Gemeinschaft zu (Maria Wunderlich), ein weiterer rückte die Überlegungen Sigrists zu ›regulierter Anarchie‹ in segmentären Gesellschaften in das Zentrum der Ausführungen (Elisabeth Waldhart). Wieder andere stellten die Konzepte der Geschichtsauffassung anarchistischer Denker wie Bakunin und Kropotkin zur Diskussion (Jonathan Eibisch) oder gingen auf den wissenschaftstheoretischen Diskurs zu Macht, Herrschaft und relationalen Gefügen zwischen Menschen, aber auch Multi-Spezies-Geflechten ein (Stefan Schreiber & Martin Renger). Und ein weiterer Vortrag über die Dokumentation und Sichtbarmachung von Fluchtspuren im Mittelmeerraum jüngsten Datums brachte die politische Dimension archäologischen Wirkens deutlich zum Tragen (Geesche Wilts). Wie die Impulse selbst war auch die jeweils daran anschließende gemeinsame Auseinandersetzung und Debatte um die Inhalte der Vorträge bereichernd und zeigte die Spannbreite möglicher und weiterführender Diskussions- sowie Anknüpfungspunkte um und an das Workshopthema auf.
Der Fokus des dritten Tages lag ganz im Sinne des Konzeptes der Workshopreihe auf einem World-Café im Open-Space-Format. An fünf verschiedenen Tischen mit Themen zu ›Anarchie und Emanzipation im Arbeitsalltag‹, ›Anarchistische Vergesellschaftungen: nichthierarchische & alternative Gesellschaftsformen‹, ›Wider den Methodenzwang: DIY-, Punk-, Counter- & Grassroots-Archaeologies‹, ›Wissensliberation: Wege zu einem anarchistischen Wissensmodell?‹, ›Widerstand, Rebellion & Subversion: Wem „hören“ wir zu und wen können wir „hören“?‹ debattierten und reflektierten in fünf Durchläufen und wechselnden Diskussionsgruppen die Teilnehmer*innen engagiert und interessiert in anregender Atmosphäre themenbezogene Ansätze sowie Möglichkeiten, tauschten Erfahrungen, Gedankenfragmente sowie Ideenskizzen aus und erörterten genauso bestehende Fragen und Herausforderungen wie unmittelbar durch das Brainstorming neu aufgeworfene.
Format und Workshop insgesamt wurden begeistert aufgenommen. Ein weiteres Mal zeigte sich, wie wichtig und stimulierend eine angenehme, kreative, aufeinander Rücksicht nehmende und offene Diskussionskultur ist.
Eine Fortsetzung der Auseinandersetzung ist geplant.
Erste Impressionen bei Twitter unter @AgTida #anarchäologie