Vom 23.-25.11.2017 findet an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ein Workshop im Open-Space-Format (World Café) zum Thema ‚Altertumswissenschaften und Architektursoziologie im Dialog – Theorien, Methoden und Chancen‚ statt, der sich explizit an Jungwissenschaftlerinnen und Jungwissenschaftler richtet.
Anmeldungen zur Teilnahme und Abstracts für Posterpräsentationen oder vergleichbarer Formate (nach Absprache) können bis einschließlich 15. September 2017 eingereicht werden bzw. erfolgen.
Der Workshop „Subaltern Spaces – Subalterne Räume“ wird vom Exzellenzcluster TOPOI durch Reinhard Bernbeck und Vera Egbers veranstaltet. Er findet vom 19.-20. Juni im Topoi Building Dahlem in Berlin statt.
Für weitere Details und das Programm sind hier weitere Infos zu finden: http://www.topoi.org/event/38952/
08.45 Uhr • Organisator*innen der AG TidA • Einführung – Frage Migration!
09.00 Uhr • Sabine Reinhold • Völkerwanderung 2.0 oder Wieviel Biologie braucht der Transfer kulturelle Praktiken?
09.30 Uhr • Kerstin P. Hofmann • Migrationsnarrative. Konzepte, Methoden und Repräsentationsformen im Vergleich
10.00 Uhr • Kaffeepause
10.30 Uhr • Michael Kempf • Klima, Kollaps, Katastrophe? – interdisziplinäre Ansätze zur Abschätzung von klimainduzierter Umweltkrise und Migration
11.00 Uhr • Stefanie Eisenmann • Gruppen in Genetik und Archäologie: Die Frage nach der Nomenklatur genetischer Cluster
11:30 Uhr • Corina Knipper, Tivadar Vida, István Koncz, János Gábor Ódor, Ildikó Katalin Pap, Balázs Gusztáv Mende • Mobilität während der Völkerwanderungszeit: Implikationen von Strontium-Isotopendaten von Gräberfeldern des 5. und 6. Jh. in Westungarn
12.00 Uhr • Wolfgang Haak • Über Migrations- und Vermischungsnarrative der Archäogenetik
12.30 Uhr • Mittagspause
14:00 Uhr • Michael Werner • Migration und Raum – ein handlungstheoretischer Ansatz
14:30 Uhr • Martin Furholt • Migration, Mobilität und die Struktur sozialer Gruppen im europäischen Neolithikum
15:00 Uhr • Thomas Hoppe – Stefan Schreiber, Birgit Schorer, Maxime Rageot, Angela Mötsch, Janine Fries-Knoblach, Dirk Krausse, Cynthianne Spiteri, Philipp W. Stockhammer • Was haben Dinge mit Migrationen zu tun? Einblicke in komplexe „Mensch-Objekt-Wanderungen“ am Beispiel von Fundensembles aus Hochdorf und der Heuneburg
15.30 Uhr • Kaffeepause
16:00 Uhr • Blandina Cristina Stöhr • Migrationen, Identität und Angst – Das Fallbeispiel Griechenland und die Geflüchteten. Eine ethno-archäologische Projektskizze
16.30 Uhr • Martin Renger • Frage Migration? Antwort Ungleichheit! Ein Kommentar zum aktuellen Forschungsdiskurs und ein Plädoyer für einen Perspektivwechsel
17:00 Uhr • Abschlussdiskussion
17.30 Uhr • Mitgliederversammlung
Abstracts
Völkerwanderung 2.0 oder Wieviel Biologie braucht der Transfer kultureller Praktiken?
Sabine Reinhold Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, Berlin
Mit dem Wiedererstarken von großräumigen Migrationsparadigmen als Erklärungsmoment für Veränderungen in der Struktur prähistorischer Kulturen kehrt ein Paradigma zurück, das wir eigentlich überwunden geglaubt hatten. Insbesondere der Nachweis biologischer Zusammengehörigkeit über aDNA-Analysen lässt die These des Zusammenhangs von materieller Kultur und deren Überreste mit biologischer Verwandtschaft und ethnischer Homogenität in einem neuen Licht erscheinen. Was Gustaf Kossinna seinerzeit positiv beantwortet und als Ausgangspunkt komplizierter Expansionsszenarien gesehen hat, wurde seither lange eher verneint. Das kulturelle Handeln, die soziale Praxis, wurde ins Zentrum von Identitätsdiskursen gerückt und höher gewichtet als biologisch-verwandtschaftliche Bindungen. Abstammung konnte fiktiv sein und Identität war allein sozial konstruiert.
Mit den neuen bioarchäologischen Analysemethoden geraten solche Positionen in Wanken. Es scheint doch auch biologische – oder vor allem biologische? – Verbindungen zwischen den Leuten zu geben, die etwa ihre Toten in derselben Form begraben oder eine vergleichbare Region bewohnen. Doch wieviel Biologie steckt hinter einer archäologischen Kultur? Oder großräumigen Phänomenen wie etwa den Glockenbechern, oder der osteuropäischen Jamnaja-Kulturgemeinschaft, die sich einerseits durch weiträumig ähnliche kulturelle Praxis auszeichnen und gleichzeitig aber lokale Eigenheiten besitzen? Insbesondere in Eurasien werden mittlerweile Massen an Bevölkerungen über riesige Distanzen verschickt, für die die archäologischen Belege einer kulturellen Kohärenz eher schwach sind oder ganz fehlen.
Hier gilt es einerseits Mobilitätskonzepte neu zu definieren und andererseits zu hinterfragen, was bedeutet es eigentlich in der Realität, wenn die Kern-DNA-Analyse eine biologische „Verwandtschaft“ oder „Abstammung“ zu einem bestimmten Prozentsatz nahelegt? Mit dem Thema „Migration“ müssen eben nicht die anderen Narrative wie klar definierten Kulturgruppen, die wandern, von Landnahmen und ähnlichem zurückkehren. Vielmehr können neue Mobilitätskonzepte entwickelt werden, die kulturelle und/oder biologische Zusammengehörigkeit in einen befriedigenden Rahmen setzen.
Migrationsnarrative. Konzepte, Methoden und Repräsentationsformen im Vergleich
Kerstin P. Hofmann Römisch-Germanische Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts, Frankfurt a.M.
Migrationen sind nicht nur heute, sondern waren auch früher schon oft Thema von Erzählungen. In der Historiographie werden Migrationen zudem immer wieder als eine der zentralen Gründe für kulturellen und sozialen Wandel angeführt. Nicht nur unterschiedliche Handlungstragende, sondern auch verschiedene Konzepte von Mobilität, Raum, Zeit und Identität spielen dabei eine Rolle. Auch die Methoden des Nachweises von Migrationen und ihre Repräsentationsformen differieren erheblich. Am Beispiel der wikingerzeitlichen Migration von ‚Nordmännern‘ nach Britannien während der Wikingerzeit sollen Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Wechselwirkungen verschiedener Migrationserzählungen aufgezeigt werden.
Wolf im Schafspelz – Schaf im Wolfspelz? Prähistorische Mobilität im Fokus von Molekularbiologie und Archäologie
Stefan Burmeister Museum und Park Kalkriese
Der Mensch ist ein homo migrans; menschliche Mobilität war und ist eher der Regelfall als die Ausnahme. Von daher sind Migrationen ein zentraler Untersuchungsgegenstand der archäologischen Forschung – oder sollten es zumindest sein. Vielfach waren Wanderungen jedoch mehr axiomatische Setzungen zur Erklärung von Kulturwandel als selbst eigener Gegenstand der Forschung. Die methodologischen Probleme einer genuinen Migrationsarchäologie diskreditierten diese vielfach als eigenständigen Forschungsansatz. Die neuen Methoden der Molekularbiologie (Genetik, Isotopie) führen die Archäologie aus ihrer epistemologischen Sackgasse. Das ist unstrittig – die Naturwissenschaften liefern hier ein „Heilsversprechen“.
Wer jedoch Kritik an den beeindruckenden Ergebnissen etwa der Genetik äußert, steht schnell im Verdacht, sich dem Fortschritt zu widersetzen und alte Pfründe einer nicht mehr haltbaren Deutungsmacht zu verteidigen. Doch so einfach ist es nicht. Die neuen, durch genetische Analysen untermauerten Modelle prähistorischer Wanderungen lassen sich zwanglos in Geschichtsbilder des 19. und frühen 20. Jahrhunderts einfügen. Finden diese Narrative hier ihre Bestätigung oder sind die Deutungen genetischer Befunde nicht doch eher kontaminiert mit überkommenen Geschichtsbildern? Für letzteres lassen sich zahlreiche Beispiele anführen – hierüber gilt es sich auseinanderzusetzen.
Klima, Kollaps, Katastrophe? – interdisziplinäre Ansätze zur Abschätzung von klimainduzierter Umweltkrise und Migration
Michael Kempf Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Archäologische Wissenschaften, Abteilung Frühgeschichtliche Archäologie und Archäologie des Mittelalters
Migration eher als Prozess und nicht als Ereignis anzusehen, betont den Anspruch, einen umfassenden Überblick über die vielen ‚push‘ und ‚pull‘ Faktoren zu erlangen, die Wanderungsbewegungen auslösen können. Inwiefern sich jedoch zwischen lokalem Druck in der Heimat und Anziehungskraft in der Ferne unterscheiden lässt, oder ob eine Kombination beider Faktoren möglich ist, erschließt sich nicht zwangsläufig. Um diese Fragen zu klären verweisen ereignisbasierte Theorien interdisziplinärer Forschungsansätze gerne auf absolute Konformität von ‚Klima-Event‘ und ‚Response‘.
Allzu leicht nur scheinen sich historische Ereignisse, Perioden oder Entwicklungen in klimadeterministische Abläufe einflechten zu lassen: Der ‚Niedergang des römischen Reiches‘ – gleichzeitig eine Periode starker Klimaschwankungen, verbunden mit hohen Niederschlagsraten. Die ‚Völkerwanderung‘ – Trockenheit, abrupte Abkühlung, Dürre, Missernten und Überschwemmungen. Die ‚Justinianische Pest‘ – Konsequenz einer zehnjährigen Klimaveränderung, zurückzuführen auf eine Serie von Vulkanausbrüchen nach 536 n. Chr. Scheinbar beliebig lässt sich die Liste der verheerenden Auswirkungen auf soziale und politische Instrumente und Systeme des 3.-6. Jahrhunderts n. Chr. fortsetzen. Doch welcher Fragestellung unterliegen die Behauptungen der naturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit einem, auch in politischer Sicht dominierenden Thema des ausgehenden 20. und des frühen 21. Jahrhunderts? Der Versuch, sich verändernde politische Gebilde und Räume mit drastischen Einschnitten im klimatischen Haushalt zu kombinieren und zu erklären, verleitet zu einer einseitigen Betrachtungsweise von kulturgeschichtlichen Entwicklungen – die vor allem in kleinräumigen Ordnungen ablaufen. Inwieweit ist Gleichzeitigkeit ein Indiz für Kausalität? Und handelt es sich nicht vielleicht eher um eine konstruierte Verknüpfung zweier Ereignisse zu einem Narrativ? Dieser Beitrag soll einen weiten Bogen schlagen: Neben der Vorstellung naturwissenschaftlicher Parameter und Proxy werden Fragen der globalen Klimageschichte erarbeitet und auf regionalen Maßstab heruntergebrochen, um mögliche Migrationsbewegungen im archäologischen Befund aufzudecken.
Gruppen in Genetik und Archäologie: Die Frage nach der Nomenklatur genetischer Cluster
Stefanie Eisenmann Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Jena
Zahlreiche Publikationen aus dem Bereich der Genetik widmen sich der Erforschung von Mobilität. Die Studien konzentrieren sich in diesem Zusammenhang nicht auf den Nachweis von Bevölkerungsverschiebungen auf kleinräumiger Ebene, sondern stellen die großen Narrative in der Urgeschichte, wie die Neolithisierung oder die weitreichenden kulturellen Veränderungen in Mitteleuropa am Ende des Neolithikums, wieder in den Fokus. Sie laufen damit dem Trend zu detaillierten Lokalstudien, der sich in der archäologischen Forschung beobachten lässt, entgegen.
Während erste kleinere DNA-Serien an menschlichem Skelettmaterial Ende der 90er Jahre bereits das Potenzial dieser Analysen für die Erforschung urgeschichtlicher Migrationen aufzeigten, haben jüngste technologische Weiterentwicklungen, wie das Next Generation Sequencing, Shotgun Sequencing und Hybridisation Enrichment, die Anwendungsmöglichkeiten hin zu großen Probenreihen maßgeblich erweitert. Man könnte von einer Kommerzialisierung des Fachbereichs Archäogenetik sprechen, ähnlich wie ihn andere bioarchäologische Disziplinen, bspw. die Analyse stabiler Isotopen, bereits durchlaufen haben.
Im Mittelpunkt des Vortrags steht eine theoretische Problematik, die aus der Ausweitung der Probenreihen in alt-DNA Studien folgt. Nach der Sequenzierung werden die einzelnen Individuen auf Grundlage ihrer genetischen Ähnlichkeiten, für gewöhnlich mit Hilfe einer Principal Components Analysis, in Gruppen zusammengestellt. Die Benennung dieser
genetischen Cluster erfolgt bislang nach keinem festgelegten System, stellt jedoch einen zentralen Schritt in der Überführung der naturwissenschaftlichen Daten in die archäologische Interpretation dar. Die Entwicklung einer allgemeinen Nomenklatur sollte daher im lebendigen Dialog zwischen den Vertretern beider Disziplinen – der Archäologie und der Genetik – erfolgen.
Erste Schritte in diese Richtung wurden bei einem Workshop des neu gegründeten „Max Planck Harvard Research Center for the Archaeoscience of the Ancient Mediterranean“ (kurz: MHAAM) im Februar dieses Jahres unternommen, und sollen im Rahmen des Archäologiekongresses zur Diskussion gestellt werden.
Mobilität während der Völkerwanderungszeit: Implikationen von Strontium-Isotopendaten von Gräberfeldern des 5. und 6. Jh. in Westungarn
Corina Knipper1, Tivadar Vida2, István Koncz2, János Gábor Ódor3, Ildikó Katalin Pap4, Balázs Gusztáv Mende5 1 Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie gGmbH, Mannheim; 2 Eötvös Loránd University, Institute of Archaeological Sciences, 1088 Budapest, Múzeum körút 4/B, Hungary; 3 Wosinsky Mór Múzeum, Szekszárd; 4 Savaria Museum, Szombathely; 5 Archaeological Institute, Research Centre of the Humanities, Hungarian Academy of Sciences, 1014, Budapest, Úri u. 49, Hungary
Das Karpatenbecken ist ein Schlüsselgebiet historischer und archäologischer Forschung zur Völkerwanderungszeit. Schriftquellen überliefern eine komplexe Abfolge von Bevölkerungsgruppen des 5. bis 7. Jh., darunter Hunnen, Gepiden, Langobarden und Awaren. Die reichhaltigen archäologischen Hinterlassenschaften der Gräberfelder offenbaren räumliche Unterschiede von Bestattungsbräuchen und Grabbeigaben sowie Veränderungen dieser Merkmale im Laufe der Zeit. Dennoch mag eine unreflektierte Assoziation historischer Einheiten mit anhand von materieller Kultur und Bestattungsbräuchen herausgearbeiteten Gruppen der historischen Situation nicht immer gerecht werden. Zu bedenken sind die Dynamik ethnischer Gruppen und mögliche Verschiebungen externer Zuweisungen in Richtung historisch aktiver Führungspersönlichkeiten und militärischer Einheiten. Derzeit widmet sich ein ungarisch-deutsches Projekt der Spezifizierung der Rolle tatsächlicher Residenzwechsel von Menschen während der Völkerwanderungszeit. In einer interdisziplinären Herangehensweise verknüpft es historische, archäologische und anthropologische Informationen mit den Resultaten von Isotopenanalysen (Sr, O, C, N) an ausgewählten Gräberfeldern aus dem Karpatenbecken. Erste Ergebnisse zeigen für zwei Fundstellen in Westungarn eine große Bandbreite von Strontium-Isotopenverhältnissen im Zahnschmelz erwachsener Individuen, während sich die Analysedaten der Zähne von Kindern überwiegend in engen Wertebereichen konzentrieren. Diese Muster sprechen sowohl für Wohnortwechsel im Laufe des Lebens der meisten Personen, als auch für Siedlungs- und Bestattungskontinuität über mindestens mehrere Jahre an einem Ort. Um genauere Einblicke in die Rolle von Mobilität im täglichen Leben der Menschen und ihre Bedeutung für die Aufrechterhaltung überregionaler Kontakte zu erlangen, wird der Vortrag die Analyseergebnisse mit Modellen zu Residenzwechseln von Gruppen verschiedener Größe und einzelner Individuen konfrontieren.
Über Migrations- und Vermischungsnarrative der Archäogenetik
Wolfgang Haak Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Jena
Die Ergebnisse archäogenetischer Studien vor allem der letzten 3 Jahre haben den Diskurs um Migration menschlicher Gruppen in der Vor- und Frühgeschichte nicht nur wiederentfacht, sondern auch im Spiegel aktueller gesellschaftspolitischer Ereignisse wieder direkt in den Vordergrund gerückt. Aus Sicht der Archäologie werden diese Ergebnisse – und vor allem deren Interpretation – mit großem Bedenken wahrgenommen, nicht zuletzt weil die vermeintliche Verbindung von biologischem Substrat (d.h. gemeinsamer Abstammung), materieller Kultur und eventuell auch Sprachen bereits tot geglaubte Geister des Faches heraufbeschwört.
Zweifellos sind die beteiligten Fächer, d.h. Archäologie, Anthropologie, Genetik und Linguistik durch diesen Diskurs wieder näher zusammengerückt, allerdings bedarf es nach wie vor noch deutlich mehr gemeinsamen fachübergreifenden Dialog und Kommunikation, um die noch sehr großen Missverständnisse um die wissenschaftstheoretischen Ansätze und Methodik aller Disziplinen besser zu verstehen.
In diesem Vortrag möchte ich die populationsbiologischen Konzepte hinter den genetischen Erbnissen der alten DNA- Studien erläutern, um deren Potenzial, Chancen und auch Grenzen aufzuzeigen. Gleichsam soll eine solche Darstellung die Auflösungsstärke verschiedener biologischer Markersysteme und Analysenmethoden verdeutlichen, um deren Aussagekraft im Licht archäologischen Kontexts aber auch neutraler Hypothesentests besser einschätzen zu können.
Migration und Raum – ein handlungstheoretischer Ansatz
Michael Werner Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Archäologische Wissenschaften, Abteilung Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie / Archäologie des Mittelalters
Migration wird als dauerhafte, räumliche Verlagerung des Lebensmittelpunktes definiert. Migration findet nicht in einem abstrakten Raum statt, sondern ist an räumliche Bedingungen gebunden und wird durch diese bestimmt, hat aber auch selbst prägende Wirkung auf diese räumlichen Bedingungen.
Bei der Beschäftigung mit Migration spielen deshalb Raumkonzepte eine entscheidende Rolle. Dabei stehen sich stark geodeterministische Vorstellungen der klassischen Kulturgeographie und konstruktivistische, handlungsorientierte Vorstellungen der ‚Neuen Kulturgeographie‘ (z.B. Denis Cosgrove und Benno Werlen) gegenüber.
In den grand narratives wird Migration oft kausal auf naturräumliche Bedingungen, beispielsweise (sich wandelnde) Klimabedingungen zurückgeführt. Migration wird als kollektive Antwort der Bevölkerung eines bestimmten Raumes, auf die dort vorgefundenen Bedingungen betrachtet. Diese Antwort ist der Übertritt in einen anderen Raum der vorteilhaftere Bedingungen bietet. Die betroffenen Räume bleiben davon unbetroffen.
Bei zu Grunde liegenden konstruktivistischen, handlungsorientierten Raumkonzepten hingegen, werden Migrationsprozesse ambivalent gesehen, d.h. sie sind einerseits Ausdruck bestehender sozioökonomischer Disparitäten, andererseits fungieren sie als Treiber sozialer, ökonomischer und räumlicher Innovationen. Der Einfluss von Migrationsprozessen auf die räumliche und soziale Organisation des Herkunfts- und Ankunftskontextes sowie reziprok der Einfluss der übergeordneten gesellschaftlichen und räumlichen Strukturen auf die Akteure und deren Handeln – die damit verbundenen Diskurse und Symboliken eingeschlossen – entfalten eine doppelte Wirkmächtigkeit. Diese wird in der Literatur auch als ‚räumliche Definitionsmacht‘ konzeptualisiert.
Migration, Mobilität und die Struktur sozialer Gruppen im europäischen Neolithikum
Martin Furholt Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Institut für Ur- und Frühgeschichte
Es ist bemerkenswert und teils beunruhigend, wie Diskussionen um prähistorische Migrationsphänomene in der Archäologie aktuelle politische Auseinandersetzungen spiegeln. So wird eine Reihe von fragwürdigen Prämissen über soziale Gruppen häufig unreflektiert dazu verwendet, stereotype Gesellschaftsbilder des frühen 20. Jahrhunderts zu propagieren, und durch ihre vermeintliche Gültigkeit in der Urgeschichte zu naturalisieren. Entscheidend hierbei ist das Vorurteil der wholeness sozialer Phänomene (n. Greenblatt 2009), d.h. die prämissenhafte Vorstellung einer Abgeschlossenheit und Homogenität sozialer Gruppen und eine auf dem selben Prinzip aufbauende Vereinfachung und Vereinheitlichung von sozialen Phänomenen, wie etwa der „Migration“. Auf dieses Vorurteil aufbauend werden in Kossinna´scher Manier kulturell geschlossene Einheiten künstlich erzeugt, einander gegenübergestellt und in zeitlich und räumlich klar abgegrenzten Ereignissen Völkerwanderungsszenarien über die Europakarte verschoben. Diese konzeptuelle Verengung sozialer Phänomene auf homogene Schubladen führt dazu, Migration als einen externen Faktor von Gesellschaften zu betrachten, anstatt als innergesellschaftliches Phänomen; sie führt dazu falsche Dichotomien zu erzeugen, etwa den Gegensatz zwischen Migranten und Nichtmigranten, Migration und Diffusion. Diese Verengung in der Archäologie ist umso verwunderlicher, als in der kulturanthropologischen Forschung seit Jahrzehnten intensiv zur Frage von Migration und Mobilität und seinem sozialen Kontext geforscht wird. Hier liegen Modelle sehr unterschiedlicher Migrations- und Mobilitätsmuster vor, die auf unterschiedlichen Skalenebenen angesiedelt sind. Sie bieten die Möglichkeit für die Prähistorische Archäologie, neu über Migration als innergesellschaftlichem Phänomen nachzudenken, und sich intensiver mit der Frage auseinanderzusetzen, welche sozialen Voraussetzungen und Konsequenzen unterschiedliche Formen von Mobilität und Migration haben.
Schließlich ist die Verteilung materieller Kultur im Raum, die ja schon im Rahmen der traditionellen kulturhistorischen Archäologie mit Phänomenen von Migration in Zusammenhang gebracht wurde, entscheidend für die Identifikation und nähere Charakterisierung von Migrations- und Mobilitätsphänomenen in der Urgeschichte. Dies kann und sollte in einem konzeptionellen Rahmen geschehen, der die oben kritisierte pauschalisierende „wholeness“-Prämisse sozialer Phänomene fallen lässt und nicht vermeintlich kulturell kohärente Einheiten mit kollektiver Agency miteinander in Kontakt treten lässt, sondern in einem konzeptionellen Rahmen, der individuelle Handlungen und Entscheidungen zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen macht.
In meinem Vortrag soll es vor allem darum gehen, Überlegungen zu Mobilität und Migration in einen Zusammenhang zu den sozialen Prozessen zu stellen, die zur Bildung und Aufrechterhaltung regional (relativ) einheitlicher materieller Kultur (irreführend als „archäologische Kulturen“ bezeichnet) führen. Dies ist mit einer Diskussion der Frage der Struktur und Zusammensetzung sozialer Gruppen verbunden, die unter anderem von den vorherrschenden Mobilitätsmustern beeinflusst werden. Ich werde darstellen, auf welche Weise es möglich ist, über das archäologische Material einen Zugriff auf die spezifischen Muster von Mobilität und Migration und die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Strukturen zu erhalten. Damit kann die Archäologie einen signifikanten Beitrag zur Migrationsdebatte liefern und muss das Feld nicht den Molekularbiologen überlassen.
Literatur: Greenblatt 2009: S. Greenblatt, Cultural Mobility: A Manifesto (Cambridge, UK ; New York 2009).
Was haben Dinge mit Migrationen zu tun? Einblicke in komplexe „Mensch-Objekt-Wanderungen“ am Beispiel von Fundensembles aus Hochdorf und der Heuneburg
Thomas Hoppe1, Stefan Schreiber2, Birgit Schorer, Maxime Rageot, Angela Mötsch, Janine Fries-Knoblach, Dirk Krausse, Cynthianne Spiteri, Philipp W. Stockhammer 1 Landesmuseum Württemberg, Stuttgart, BMBF-Projekt „BEFIM“; 2 Ludwig-Maximilians-Universität München, BMBF-Projekt „BEFIM“
In den Archäologien wird Migration zumeist mit der Mobilität von Menschen, Diffusion mit der Mobilität von Ideen und Objekten verbunden. Wir möchten diese Trennung in Frage stellen und stattdessen ein Alternativmodell zu Migrationen anbieten, welches die Verflechtung von Menschen, Ideen und Objekten in den Blick nimmt und nach ihren „Wanderungen“ fragt. Am Beispiel von Fundensembles aus Hochdorf und der Heuneburg möchten wir hinterfragen, ob eine Trennung in Migrationen und Diffusionen immer sinnvoll ist. Dazu diskutieren wir die Komplexität der eingegangenen Verflechtungen, aber auch die Vorteile der Perspektive integrativer „Mensch-Objekt-Wanderungen“.
Migrationen, Identität und Angst – Das Fallbeispiel Griechenland und die Geflüchteten. Eine ethno-archäologische Projektskizze
Blandina Cristina Stöhr Freie Universität Berlin
Durch politische Instabilität und Kriege in Ländern wie z.B. Syrien, Afghanistan, Libanon oder auf den afrikanischen Kontinent flüchten derzeit und zukünftig eine große Anzahl Menschen. Da Griechenland eins der ersten Ankunftsländer für die Flüchtlinge ist, sind die Begegnungen zwischen Einwohnern und Geflüchteten in einzigartiger Weise unmittelbar. In meinem Vortrag skizziere ich ein ethno-archäologisches Projekt, welches sich mit Identitätsaushandlungen in Migrationssituationen auseinandersetzen wird und diese auf einer Mikroebene analysiert. Häufig werden in archäologischen Ansätzen Migrationen entweder als Kollektivphänoneme verstanden oder auf bioarchäologische Marker reduziert. Daher stehen oft die Migrierenden im Fokus. Mir erscheint jedoch die Kommunikation der und mit der Bevölkerung an dieser Stelle genauso wichtig. Wie beeinflusst die konkrete Kontaktsituation die Identitätsaushandlungen innerhalb der griechischen Bevölkerung und was für eine Rolle spielt die Angst „vor“ den Geflüchteten in Bezug auf die persönliche Identität? Wie geht die einzelne Person mit einer solchen Veränderung in seinem Lebensumfeld um und was bedeutet das für die Konzeption von Migrationen in der Archäologie?
Frage Migration? Antwort Ungleichheit! Ein Kommentar zum aktuellen Forschungsdiskurs und ein Plädoyer für einen Perspektivwechsel
Martin Renger Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Archäologische Wissenschaften, Lehrstuhl für Vorderasiatische Archäologie
Die Archäologie steckt in einem Dilemma. Wenn sich gesellschaftliche Verhältnisse in die Architektur einschreiben – wie es beispielsweise Foucault skizziert – oder allgemeiner formuliert in der Materialität soziokultureller Formationen Ausdruck finden, dürften zudem im Ergebnis in Vergegenständlichungsformaten manifest gewordene Prozesse wie Migration fassbar werden, die zweifelsohne transformative Momente und Dynamiken in allen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens auslöst. Aktuelle Beispiele hierfür sind hinlänglich bekannt und sowohl in staatlichen Maßnahmen wie auch in informellen (urbanen) Strukturen offensichtlich. Der sich dabei ebenso räumlich zeigende Unterschied zwischen dem „wir [?] (hier)“ und „die anderen [?] (dort)“ könnte zurzeit nicht deutlicher hervortreten. Doch welche Hinweise, Einblicke und Rückschlüsse diesbezüglich ermöglichen urgeschichtliche, uns weitaus fragmentierter vorliegende Kontexte? Dass Migration oder allgemeiner Mobilität keine singulär auftretende Erscheinung formiert, sondern eher zur regelhaften Tatsache menschlicher Realitäten gehört, sollte mittlerweile evident sein. Gleichfalls jedoch auch die erkenntnistheoretische Sackgasse aus dingweltlichen Diversitäten, das ‚Fremde‘ oder ‚Neue‘ vom ‚Lokalen‘ und ‚Alten‘ abzugrenzen und mit jeweils dahinterstehenden spezifischen Personengruppen zu besetzen; deren Machbarkeitsdiskussion wurde durch Kramers eindringliche Kritik „Pots are not People!“ 1977 noch einmal entscheidend hinterfragt und inzwischen weitgehend durch andere Erklärungsansätze und Konzepte wie Netzwerkmodelle ersetzt. Das zuweilen ausgereizte und als defizitär empfundene genuin archäologische Rüstzeug wird derzeit durch konkrete naturwissenschaftliche Methoden ergänzt und zu kompensieren versucht, die in der Frage Migration Erfolg versprechen sollen. Doch scheint auch das philosophisch-sozialwissenschaftliche Potenzial hierfür nicht gänzlich erschöpft, muss aber unter veränderten Parametern Betrachtung finden. Dabei liegen weniger Ausgangs- und Endpunkt von Migration, sondern die permanent dadurch ausgelösten bzw. damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungsprozesse im Zentrum des Interesses. Dieses ist eher an Termini wie ‚Capability‘ sowie ‚Ungleichheit‘ und ihre Sichtbarkeit im archäologischen Befund entlang der sich stets neukonstituierenden Sozialformationen insgesamt orientiert, anstatt zwischen diskursiv durch einen an (National-)Staatlichkeitskonzepten ausgerichteten Migrationsbegriff vorgeprägten gesellschaftlichen Parallelstrukturen abzuwägen.
„Frage Migration! – Erkenntnistheorien, Argumente, Modelle, Paradigmen“- Call for Papers zum 9. Deutschen Archäologiekongress in Mainz am 4.07.2017
Wir laden Euch herzlich ein, an unserer Sektion in Mainz teilzuhaben und teilzunehmen und freuen uns schon auf Eure spannenden Vorträge und Diskussionen. Diesmal widmen wir uns der „Frage Migration!“
Vom 19.-21. Dezember tagt die Theoretical Archaeology Group an der University of Southampton. Das übergeordnete Thema der Konferenz lautet „Visualisation“, aber bei den 33 Sessions ist sicher für jede/n etwas dabei. Verpasst die Deadline für die Vorträge am 15. November nicht!
Vom 5. bis 8. Mai 2016 findet im Berliner Kulturforum die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte (DGUF) statt.
„Archäologie wird in einem komplexen Kräftespiel betrieben, in dem sich auch entscheidet, wie viel fachlich gesteuerte staatliche Archäologie es künftig noch geben wird und wie stark die archäologischen Institutionen angesichts widerstrebender Interessen auftreten können. Andere Akteure gewinnen derzeit rapide an Einfluss, z. B. in Sozialen Medien. Gesetze, welche die Archäologie massiv beeinflussen, werden beschlossen – und die Archäologie agiert und reagiert kaum. Dabei werden die berufliche Zukunft von Archäologinnen und Archäologen und die Qualität ihres Berufslebens gestaltet, und nicht zuletzt wird das öffentliche Interesse an Archäologie ausgehandelt. Wie kann, wie muss sich Archäologie dabei einbringen, damit das Fach und die Erforschung der Vergangenheit eine tragfähige Zukunft haben?“
Die AG TidA und die AG Wissenschaftsgeschichte veranstalten einen gemeinsamen Round Table. Am Donnerstag, den 31.03.2016 ab 16 Uhr in Chemnitz im Anschluss an die Sektion der AG Wissenschaftsgeschichte auf der 22. Jahrestagung des MOVA/83. Verbandstagung des WSVA diskutieren wir zum Thema „Germanen – Kelten – Alemannen: Ethnische Deutung in archäologischen Museen des 21. Jahrhunderts – alles K-ein Problem?“
Seit gut 30 Jahren ist in den deutschsprachigen Archäologien das Konzept der ethnischen Deutung à la Gustaf Kossinna in der Kritik und gegenwärtig ist in den wissenschaftlichen Publikationen pauschal von den Germanen, den Kelten oder den Alemannen kaum mehr die Rede. Anders auf dem Feld der Populärwissenschaft und in den Museen. Mit dem Argument einer größeren Reichweite und ‚höherer Besucherzahlen‘ werden entsprechende Diskussionen im Fach übergangen, dem Museumspublikum vorenthalten und Komplexität reduziert. Fragwürdige Konzepte bleiben – entgegen aller Kritik – auf diese Weise im Allgemeinen eben doch wirkmächtig. Am Beispiel des Konzepts der ethnischen Deutung möchten wir diskutieren, wie weit und warum wissenschaftlicher Diskurs und öffentliche Vermittlung archäologischen Wissens auseinandergehen und mit welchen Strategien man dieser Entwicklung entgegentreten könnte.
Auf der 22. Jahrestagung des MOVA/83. Verbandstagung des WSVA vom 29. März – 01. April 2016 in Chemnitz veranstalten wir eine Sektion am Dienstag, den 29.03.2016, zum Thema „Theory on stage. Das Museum als Diskursraum archäologischer Theorie?“
Programm Di 29.03.2016 (Tagungsraum: Hörsaal 205)
09.00 Uhr • Doreen Mölders / Einführung
09.30 Uhr • Sabine Rieckhoff / Identitätsfindung – Ideologisierung – Ökonomisierung.
Zeitgeist und Zeitgeschichte im Spiegel archäologischer Museen
10.00 Uhr • Anja Grothe / Michael Schefzik / Krieg – eine archäologische Spurensuche – das Konzept
10.30 Uhr • Kaffeepause
11.00 Uhr • Jens Beutmann / Geld. Archäologie einer Idee
11.30 Uhr • Anna Flückiger / Plündernde Barbaren und dunkle Jahrhunderte. Affirmation und Reflexion von Narrativen der Frühgeschichte in archäologischen Ausstellungen
12.00 Uhr • Lisa Noggler-Gürtler / Eindeutig vieldeutig – „Römer oder so. Eine Ausstellung
zum Gräberfeld in Brigantium“, vorarlberg museum, Bregenz
12.30 Uhr • Mittagspause
14.00 Uhr • (Vortrag entfällt leider) Christoph Hölzel / Das Berliner Vorderasiatische Museum im 21. Jahrhundert?
14.30 Uhr • Astrid Hackel / Paläontologische Diskurse im Spiegel der Ausstellungsgestaltung. Eine Spurensuche im Berliner Naturkundemuseum
15.30 Uhr • Kaffeepause
16.00 Uhr • Sabine Wolfram / In die Tiefe der Zeit. Die archäologische Dauerausstellung des Staatlichen Museums für Archäologie Chemnitz
Abstracts
Doreen Mölders: Einführung
Archäologische Museen sind fester Bestandteil der Museumslandschaft. Sie gehören zu den klassischen Ausstellungshäusern mit großen Sammlungen. Sie sind Depots und Orte des Bewahrens. Sie leisten Arbeit an der Vergangenheit, stellen Identitäten, Alteritäten und Alienität zur Diskussion und stehen damit in Verantwortung gegenüber ‚der Öffentlichkeit‘ und deren kulturellem Gedächtnis. Doch welche Theorien und Konzepte liegen implizit und explizit den Ausstellungsnarrativen archäologischer Museen zu Grunde? Welche und wessen Geschichte wird mit welchen Mitteln erzählt? Ist archäologische Theorie für das Praxisfeld Museum überhaupt relevant? Diese und andere Fragen werden in der Sektion der AG TidA diskutiert.
Sabine Rieckhoff: Identitätsfindung – Ideologisierung – Ökonomisierung. Zeitgeist und Zeitgeschichte im Spiegel archäologischer Museen
Der Umgang mit archäologischen Objekten zu jeder Zeit, angefangen vom zufallsbedingten Sammeln der Renaissance bis hin zur Kommerzialisierung heutiger Eventkultur, unterliegt historischen Bedingungen, die eine Wechselwirkung erzeugen. Ausgewählte Beispiele zeigen, wie einerseits diverse soziologische, philosophische,
etc. Theorien Ausstellungsnarrative geschaffen haben und andererseits aber auch das Museum als sozialer Raum wirkt, der Diskurse produziert.
Anja Grothe / Michael Schefzik: Krieg
Jens Beutmann: Geld. Archäologie einer Idee
Unter dem Arbeitstitel „Geld. Archäologie einer Idee“ bereitet das smac für die zweite Jahreshälfte 2016 (Eröffnung 26. Mai) seine erste selbst konzipierte Sonderausstellung vor. Anlass ist die Finanzkrise von 2008 und ihre bis heute spürbaren Folgen. Wir stellen uns die Frage „Was ist Geld und wie ist es zu dem geworden?“ und es zeigt sich, dass die gegenwärtige Rolle des Geldes sich tatsächlich zu guten Teilen aus der Geschichte heraus verstehen lässt. Geld und die damit verbundene Form zu wirtschaften ist ein Ergebnis gesellschaftlicher „Verhandlungen“ – ein Ergebnis, das Geisteswissenschaftler nicht unbedingt überrascht, für eine allgemeine Öffentlichkeit aber relevant sein mag. Die Ausstellung will sich dem Phänomen mit Witz und Unterhaltungswert annähern.
Anna Flückiger: Plündernde Barbaren und dunkle Jahrhunderte. Affirmation und Reflexion von Narrativen derFrühgeschichte in archäologischen Ausstellungen
In der frühgeschichtlichen Archäologie stehen derzeit u. a. forschungsbestimmende Leitmotive im Fokus der Theoriediskussion. Einige davon wurden in der Forschung als Narrative identifiziert, während sie in Ausstellungen nach wie vor als historische Sachverhalte tradiert werden. Im Vortrag wird nach der Einbettung dieser Narrative im Ausstellungskontext gefragt: Wie werden sie in Wort und Bild präsentiert? Wie wird mit der Diskrepanz zwischen Forschungsstand und vermittelten Narrativen umgegangen? Anschließend folgen Anregungen, wie Ausstellungen dazu genutzt werden könnten, diesen Widerspruch aufzulösen oder die Diskussion dazu mitzugestalten.
Lisa Noggler-Gürtler: Eindeutige vieldeutig – „Römer oder so. Eine Ausstellung zum Gräberfeld in Brigantium“,vorarlberg museum, Bregenz
Die scheinbar einfache Frage „Wer liegt da begraben?“ lässt sich nicht sicher beantworten. Bei aller Wissenschaft bleibt Raum für Spekulationen. Mann, Frau? Reich, arm? Von hier oder von dort? Wie alt denn nun? Ausstellungen zu Archäologischen Themen genießen häufig unhinterfragt den Ruf, „wahre“ wissenschaftliche Aussagen zu treffen, die sich auch in der musealen Präsentation manifestieren. „Römer oder so. Zum antiken Gräberfeld von Brigantium“ stellt das Spekulative in den Mittelpunkt – Skizzenhaftes und Eventuelles versus Gesichertes und Bekanntes. Narration und Szenografie setzen darauf, aktuellen Klischees, stereotypen Bildern
und scheinbar sicherem Wissen über die Vergangenheit zu begegnen.
Christoph Hölzel: Das Berliner Vorderasiatische Museum im 21. Jahrhundert?
Die Räume des VAM sind nach dem forschungsgeschichtlichen Kulturkreisprinzip angeordnet. Die diachrone, typologische Objektanordnung suggeriert einen starren, unveränderlichen „Alten Orient“. Daher präsentiert die momentane Ausstellung einen veralteten archäologischen und museologischen Forschungsstand. Dieser Beitrag versteht sich als Versuch, die Ausstellungsplanung im Rahmen des „Masterplans Museumsinsel“ in die Öffentlichkeit zu bringen und verschiedene Gruppen an dem Diskurs für ein kritisches Museum zu beteiligen. Anhand der experimentellen Labors des „Humboldt-Labs“ sollen Ideen für eine Neu- oder Umgestaltung entwickelt und vorgestellt werden.
Astrid Hackel: Paläontologische Diskurse im Spiegel der Ausstellungsgestaltung. Eine Spurensuche im Berliner Naturkundemuseum
Von der paläontologischen Fundstätte in der Wüste über ihrer ‚natürlichen‘ Umwelt enthobene Sauropoden-Skelette, die erst in der filmischen Verlängerung der Ausstellung zum Leben erwachen bis hin zur jüngst eröffneten T-Rex-Ausstellung, die das Skelett eines tyrannosaurus rex nicht als pars pro toto, sondern als gespensterhaften Schatten eines 60 Mio. Jahre alten Exemplars inszeniert: Am Beispiel des Museums für Naturkunde in Berlin unterzieht der kulturwissenschaftlich motivierte Beitrag historische Einschnitte in der Ausstellungsgestaltung von Sauriern einer kritischen Analyse und berücksichtigt dabei insbesondere die Wechselwirkungen zwischen dem Stand der paläontologischen Forschung und einer die Ansprüche und Selbstsicht dieser Forschung reflektierenden Szenografie.
Sabine Wolfram: In die Tiefe der Zeit. Die archäologische Dauerausstellung des Staatlichen Museums für Archäologie Chemnitz
In einer Führung durch die archäologische Dauerausstellung des Staatlichen Museums für Archäologie Chemnitz – kurz smac – erklärt Sabine Wolfram Konzept und Inszenierung der Ausstellung, die seit Mai 2014 geöffnet ist.
Der interdisziplinäre Workshop zwischen Soziologie, Ethnologie, Archäologie u.a. findet am Freitag und Samstag, 26. & 27. Februar 2016, am Institut für Soziologie, Universität Wuppertal in Raum S.13.07 statt.
Kontakt und formlose Anmeldung via eMail an heike.delitz[at]uni‐bamberg.de
Die AG TidA wird wieder eine Sektion auf der nächsten MOVA/WSVA-Tagung in Chemnitz (29.3.-1.4.2016) ausrichten und wir suchen spannende Vorträge zu u.a. folgenden Fragen:
Welche Theorien und Konzepte liegen implizit und explizit den Ausstellungsnarrativen archäologischer Museen zu Grunde? Welche und wessen Geschichte wird mit welchen Mitteln erzählt? Ist archäologische Theorie für das Praxisfeld Museum überhaupt relevant? Sollen/dürfen/müssen wir die theoretischen Vorannahmen für die Besucher_innen explizit machen? In welchem Verhältnis steht die archäologische Theorie, die auf die Inhalte fokussiert, zur Museumstheorie die die Form der Präsentation und die Besucher_innen (Akquise, Partizipation, Inklusion, Evaluationsverfahren, Public Engagement etc.) im Blick hat. Wie können Ausstellungen aussehen, die die Diskussion um theoretische Konzepte im Fach Archäologie und aktuelle gesellschaftsrelevante Themen wie Migration, Postkolonialismus, Ethik etc. mit einschließen und das Museum damit zum offenen Diskursraum archäologischer und kulturhistorischer Theorie sowie sozialpolitischer Realitäten werden lässt?
Wir hoffen auf Eure Teilnahme und Interesse und bitten Euch auch, das CfP an Kolleg*innen weiterzuleiten.