Stellungnahme der AG Theorien in der Archäologie e.V. (TidA) zu durchgeführten, verhinderten & geplanten Kürzungen Kleiner Fächer im Universitätsbetrieb

04. August 2021

Gerade in den letzten Jahren nach der Weltwirtschaftskrise zeigte sich, dass die Schließungen und Nicht-Besetzungen von Professuren Kleiner Fächer leider kein Einzelfall sind. So wurde in Sachsen an der Universität Leipzig trotz weltweitem Protest die Professur für Klassische Archäologie eingespart und das gleichnamige Institut in eine Lehreinheit des Historischen Seminars umgewandelt. Zudem wurden erst jüngst die Pläne zur drohenden Schließung bzw. zum sukzessiven Abbau von Professuren, Abteilungen und Instituten in Halle diskutiert, welche ebenfalls von erheblichen Protesten seitens der Öffentlichkeit und unseren Fachvertreter*innen begleitet worden sind. Mit großer Sorge beobachten wir diese Entwicklungen und möchten uns an dieser Stelle daher nachdrücklich gegen die Kürzungen von altertumswissenschaftlichen sowie archäologischen Professuren und deren Institutionen in Deutschland aussprechen.

Die Professuren- und Standortzahlen der Kleinen Fächer sind im Zeitraum zwischen 1997 und 2020 stabil geblieben bzw. sogar gewachsen, wobei in den einzelnen Fächergruppen durchaus unterschiedliche Trends zu erkennen sind. Dies ergab die flächendeckende Datenerhebung der Mainzer Arbeitsstelle Kleine Fächer aus dem Jahre 2020, welche bundesweit 157 kartierte Kleine Fächer in die Analyse einbezogen hatte. Dabei sind in dieser Auflistung gerade neu entstandene Disziplinen, wie beispielsweise die Archäoinformatik (Köln), noch nicht inbegriffen.

Einen wichtigen Teil der Kleinen Fächer stellen die Altertumswissenschaften dar. Gerade sie bauen die so wichtige Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Solche Brücken tragen erst dazu bei, dass wir ein (kritisches) Bewusstsein unserer eigenen Position und unserer Verantwortung in der Welt schaffen und reflektierte sowie überlegte Handlungsoptionen und -orientierungen aus einer Langzeitperspektive her entwickeln können. Auf ein verdeutlichendes Exempel sei hier kurz hingewiesen, wenn die Archäologie beispielsweise ihre verantwortungsvolle Beratungsfunktion für die (internationale) Politik (Deutschlands) übernimmt.

Innerhalb Deutschlands tragen die altertumswissenschaftlichen Fächer mit ihren vielen Teildisziplinen, die sich durch unterschiedliches Quellenmaterial und ihr jeweiliges Herangehen an die Vergangenheit unterscheiden, zu einer erfolgreichen Positionierung und Entwicklung der Hochschul-, Forschungs- und Wissenschaftslandschaft bei. Die Diversität befördert geradezu einen vielschichtigen Diskurs über die Vergangenheit und damit auch Gegenwart und Zukunft.

Hinzu kommt eine regionale Wissenschaftsdiversität, welche die einzelnen Teildisziplinen positiv kennzeichnet: Die archäologischen Standorte in Deutschland bieten verschieden ausgerichtete Professuren und dementsprechend eine Vielzahl von Studiencurricula an. Nur durch die unterschiedlichen Sichtweisen und Perspektiven wird der Diskurs und die Wissensvielfalt gefördert, um so wiederum verschiedenartige Erkenntnisse synergetisch erzeugen zu können. Wir sind davon überzeugt, dass disziplinäre Pluralität zu einer höheren Akzeptanz von unterschiedlichen, jedoch nachvollziehbaren, -prüfbaren, konsistenten und hinterfragbaren Wegen zu Wissen und zu Erkenntnissen führt, was letztlich für uns auch eine Form von Wissenschaftsfreiheit bedeutet. Fundierter, kreativer, kritischer und wissenschaftlicher Streit und damit Austausch, Aushandlung, (Selbst-)Reflexion und Einschätzung sind nur möglich, wenn es eine Vielzahl von Stimmen und Meinungen gibt, die auch bewertbar und kontextualisierbar bleiben.

Durch den Abbau und die finanzielle Unterversorgung der Institute werden jedoch der bisher positiven Entwicklung wieder immense Einbußen abverlangt. Das ist umso bedauernswerter, da die altertumswissenschaftlichen Forschungen führungsweisend zu ausschlaggebenden Forschungsrichtungen innerhalb inter- und transdisziplinärer Forschungsverbünde beitragen, wie im Falle von Klimaforschungen oder globalgesellschaftlichen Themen (z. B. Rassismus, ethnisch-kulturelle Vielfalt, (Un)Gleichheit, Krisensituationen, Pandemien und Resilienz).

Eine Gesellschaft, die also nicht auf Diversität– speziell auf disziplinäre Diversität – setzt, welche v. a. die Kleinen Fächer einschließt und deren Mannigfaltigkeit fördert, ist folglich eine „amputierte“ Gesellschaft, die sich in Krisensituationen schlecht behaupten kann. Diversität wird als eine der Schlüsselqualitäten von resilienten Strukturen angesehen. Langfristig führt also der Abbau zu einer Marginalisierung und Abwertung des Wissenschaftsstandortes Deutschland vor allem auf dem internationalen Wissenschafts- und Forschungsplateau. Zudem wird durch die Kürzungen nicht nur die wissenschaftliche, sondern auch die personelle Diversität in Deutschland reduziert, die bisher als Vorteil und Stärke wahrgenommen zu einem sehr guten Abschneiden im internationalen Vergleich führte – z. B. bei der Einwerbung von EU Geldern.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat die Bedeutung der Kleinen Fächer erkannt und fördert seit Jahren den Erhalt und Ausbau mit beträchtlichen finanziellen Mitteln (siehe Käte Hamburger Kollegs oder die diversen Förderprogramme „Kleine Fächer – große Potenziale“). Dies ist auch dringend notwendig, denn gerade die Altertumswissenschaften haben eine große Stärke und internationale Sichtbarkeit mindestens seit dem 19. Jahrhundert erarbeitet, die mit dazu führten, dass Deutschland zu einem weltweit anerkannten Wissenschaftsstandort geworden ist. Nun handeln aber die Universitäten und einzelnen Bundesländer mit den Kürzungen konträr zur Linie des Bundesministeriums, was sehr bedauerlich ist und zu Spannungen innerhalb der deutschen Wissenschafts-, Hochschul- und Forschungslandschaft führt.

Befeuert durch weitere unglückliche Bestimmungen, wie beispielsweise das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, führt diese Zuspitzung zu einer Abwanderung qualifizierter Wissenschaftler*innen aus Deutschland ins Ausland. Diese Tendenz muss baldmöglichst gestoppt werden, um einer Ausdünnung exzellenter Forschung in Deutschland entgegenzuwirken. Vielmehr besteht eine gesellschaftliche Notwendigkeit, reflektierende Kleine Fächer wie die Archäologie und altertumswissenschaftliche Fächer zu fördern und weiter auszubauen, anstatt zu kürzen!

Gez.
Vorstand und Beirat der AG Theorien in der Archäologie e.V. (TidA)

Zitiervorschlag: AG Theorien in der Archäologie (TidA), Stellungnahme der AG Theorien in der Archäologie e.V. (TidA) zu durchgeführten, verhinderten & geplanten Kürzungen Kleiner Fächer im Universitätsbetrieb. DOI: 10.5281/zenodo.5156004.

Stellungnahme als pdf zum Downloaden

Offener Brief des Vereins AG Theorien in der Archäologie (TidA) zum Thema #IchBinHanna

22. Juli 2021

An die Verbände und Vereine, die sich als archäologische Berufs- oder Interessen-vertretungen verstehen,

insbesondere den Deutschen Verband für Archäologie (DVA), den Deutschen Archäologen-Verband (DArV), die Deutsche Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte (DGUF) sowie das Chartered Institute for Archaeologists Deutschland (CifA D).


Seit dem 10. Juni 2021 machen unter dem Hashtag #IchbinHanna in einer beispiellosen Grassroots-Initiative tausende Wissenschaftler*innen ihrer Wut und Verzweiflung, aber auch ihrer Hoffnung Luft. Grund ist das unverhältnismäßige und in vielen Punkten kontraproduktive Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Ausgelöst wurde diese öffentliche Empörung durch ein Video auf der Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), in welchem die fiktive, namensgebende Doktorandin Hanna erklärt, weshalb sie das WissZeitVG für besonders gut hält, weil durch die wissenschaftliche Zirkulation das Universitätssystem nicht „verstopft“ und so eine gesteigerte „Innovation“ erreicht würde.

Das WissZeitVG und die damit zusammenhängende Befristungspraxis bei steigenden Studierenden- und Promovierendenzahlen stellen für das gesamte akademische System eine nicht tragbare Situation dar, die das Prekariat zum Standard erhebt. Bereits im Vorfeld von #IchBinHanna wurde lange über das WissZeitVG kontrovers diskutiert. So sprach sich die Vereinigung der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten Deutschlands im September 2019 in der Bayreuther Erklärung zu befristeten Beschäftigungsverhältnissen mit wissenschaftlichem und künstlerischem Personal in Universitäten für das WissZeitVG und die sich dadurch verschärfende Prekarisierung aus. Auch hieran wurde intensiv Kritik geübt, z. B. durch die Aktion #95vsWissZeitVG (95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz) im Herbst 2020.

Zahlreiche Archäolog*innen sind ebenfalls betroffen, solidarisieren sich und haben sich explizit zu Wort gemeldet. Die Beiträge reichen von Studierenden und (Post-) Doktorand*innen, dem sogenannten Nachwuchs und dem akademischen Mittelbau, Berufsaussteiger*innen bis hin zu einzelnen Professor*innen. Während sich Verbände anderer Disziplinen bereits positioniert und direkt an das BMBF bzw. die Bundesministerin gewandt haben (z. B. die Deutsche Gesellschaft für Amerikastudien [DGfA], der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e. V. [VHD] und die Deutsche Gesellschaft für Soziologie [DGS]), haben sich die archäologischen Berufs- sowie Interessenvereine und -verbände bislang nicht positioniert.

Wir appellieren daher an alle archäologischen Berufs- und Interessenvereine sowie -verbände, Stellung zu beziehen zu dieser auch für die archäologische Forschungslandschaft kurz- mittel-, und langfristig untragbaren Situation und Ihre Stimme in die Politik zu tragen.

Erwartungsvoll,

Ihre AG Theorien in der Archäologie (TidA)


Zitiervorschlag: AG Theorien in der Archäologie (TidA), Offener Brief der AG Theorien in der Archäologie (TidA) zum Thema #IchBinHanna. DOI: 10.5281/zenodo.5121345.

Offener Brief als pdf zum Downloaden

CfP: „Kategorienbildung und dann? Komplexität, Widersprüchlichkeit und Vielfalt archäologisch begreifen“

„[…] gender boundaries are not always simple. There must have been unboyisch boys and ungirlish girls in the middle ages, as in any society, and those who (for some reason or other) wished to cross the line.“

N. Orme, Medieval Children (2001, 328)

Gemeinsame Sitzung der AG Geschlechterforschung und AG TidA auf der Verbandstagung MOVA und WSVA 2021 in Jena 4.-7.10.2021

In der deutschsprachigen Archäologie war der Betrachtungsraum zu Geschlecht lange bestimmt von einem unreflektierten, untertheoretisierten und von hegemonialen Männlichkeitskonstruktionen geprägten Diskurs (Alt/Röder 2009; Dommasnes et al. 2010; Fries/Rambuschek/Schulte-Dornberg 2007; Müller-Scheeßel 2011; Röder 2014). Heute ist, nach rund 30 Jahren kritisch feministischer Geschlechterforschung, die spezifische Auseinandersetzung mit Gender und Sex ein kleines, aber überwiegend akzeptiertes Forschungsgebiet.

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Workshop „theorizing Resilience and Vulnerability (TRAVAS)“ 19.-20.1.2021

Vom 19.-20. Januar 2021 findet im Rahmen unserer Workshopreihe „Theory in Practice“ der Workshop „Theorizing Resilience & Vulnerability in Ancient Studies (TRAVAS)” online statt. Ziel des Workshops ist es, die interdisziplinären Diskussionen der Altertumswissenschaften zu Resilienz und Vulnerabilität zu bündeln und ein (internationales) Netzwerk zu diesen Diskursen aufzubauen. Im Mittelpunkt steht die Diskussion theoretischer Ansätze zu Resilienz und Vulnerabilität vor dem Hintergrund der Altertumswissenschaften sowie die Entwicklung tragfähiger Operationalisierungen.

Workshop „theorizing Resilience and Vulnerability (TRAVAS)“ 19.-20.1.2021 weiterlesen

CFP für Workshop „Materialities of Challenges – Challenges of Materialities“; 3.-4. November 2020

Vom 3.-4. November 2020 wird ein Online-Workshop zum Thema „Materialities of Challenges –Challenges of Materialities. Understanding the materialities of threats, scarcity, surplus and coping in premodern communities“ stattfinden. Organisiert wird er durch den Profilbereich „40.000 Years of Human Challenges“ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

CFP für Workshop „Materialities of Challenges – Challenges of Materialities“; 3.-4. November 2020 weiterlesen

Verschoben auf 19.–21.1.2021: Workshop „THEORIZING RESILIENCE & VULNERABILITY IN ANCIENT STUDIES“

Aufgrund der aktuellen Situation bezüglich des Coronavirus und der damit verbundenen sowie nötigen Einschränkungen haben wir uns dazu entschieden, den Workshop auf den 19. – 21. Januar 2021 zu verschieben. Die Deadline für Anmeldungen und etwaige weitere Abstracts haben wir auf den 31.10.2020 verlängert.

Wir bitten um Verständnis sowie Nachsicht und würden uns freuen, Sie/euch alle auch im Januar auf unserem Workshop weiterhin begrüßen zu dürfen.

Hier noch einmal der Link zu unserem ursprünglichen Call: http://www.agtida.de/cfp-theorizing-resilience-vulnerability-in-ancient-studies/

Programm der Sektion „Außenseiter*innen, Randgruppen und andere Unsichtbare“

Am 22.-23.9.2020 veranstalten wir auf dem Deutschen Archäologiekongress eine Sektion zum Thema „Außenseiter*innen, Randgruppen und andere Unsichtbare“. Zusätzlich haben wir uns auch mit der AG Wissenschaftsgeschichte abgestimmt, die zum Thema „Inklusion in der Archäologie“ ebenfalls eine Sektion veranstalten. Aufgrund der COVID-19-Pandemie wird der Archäologiekongress digital stattfinden (Details folgen).

Foto: luckyfotostream/Flickr
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CfP „Theorizing Resilience & Vulnerability in Ancient Studies

Vom 26.-28. Mai 2020 (verschoben auf 19.–21. Januar 2021!) veranstalten wir einen neuen Workshop in unserer Reihe ›Theory in Practice‹. Dieses Mal wird er in Mainz am Museum für Antike Schifffahrt des RGZM und dem Leibniz-Institut für Resilienzforschung stattfinden. Dazu rufen wir Euch auf, sich an unserem Call for Participation zu beteiligen. Neben einer Beteiligung am Workshop können auch kleine Beiträge und Poster vorgestellt werden.

Den vollständigen Call for Participation zum Downloaden und Teilen findet ihr hier in Deutsch und Englisch oder auf unserer academia.edu-Seite, da wir dieses Mal den Workshop international und zweisprachig gestalten wollen.

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Arbeitsgemeinschaft Theorien in der Archäologie