EAZ 51/1-2, 2010

Editorial

Als Folge der Schließung des traditionsreichen Lehrstuhls für Ur- und Frühgeschich- te der Berliner Humboldt-Universität zum Sommersemester 2010 ist mit Heft 4 des 50. Jahrgangs (2009) im Oktober 2010 das letzte von Johan Callmer und Ruth Struwe ver- antwortete Heft der »Ethnographisch-Archäologischen Zeitschrift« (EAZ) erschienen. Damit endet eine fünfzigjährige Publikationstradition in Berlin. In dieser Zeit hatte die Humboldt-Universität durch personelle und logistische Unterstützung ein Überleben der Zeitschrift auch in schwierigen Zeiten, wie etwa nach der Wende, gesichert. Die EAZ hat sich in dieser Zeit zu einem wichtigen und lebendigen Forum des fachlichen Austauschs innerhalb der Ur- und Frühgeschichte wie auch zwischen dieser und an- grenzenden Wissenschaften wie Ethnologie und Physischer Anthropologie entwickelt. Sie ist außerdem wie keine zweite archäologische Fachzeitschrift ein Spiegel der poli- tischen und weltanschaulichen Veränderungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun- derts.

Es gibt also Gründe genug, den Fortbestand der EAZ zu sichern. So konnte sich der Unterzeichnende der an ihn herangetragenen Bitte, die Weichen für eine Fortfüh- rung der Zeitschrift an der Professur für Ur- und Frühgeschichte der Universität Leip- zig zu stellen, nicht verschließen. Allerdings lassen die veränderten Rahmenbedingun- gen, wie die hier bislang noch fehlende Infrastruktur für Redaktion und Vertrieb eben- so wie die durch die digitale Revolution ausgelösten Veränderungen im Verlagswesen, auf Dauer eine einfache Fortschreibung der bisherigen Strukturen nicht zu. Vielmehr sind harte Schnitte verbunden mit einer gewissen Neuausrichtung der Zeitschrift nö- tig, um dauerhaft ein Weiterbestehen der EAZ zu sichern. Der Leipziger Lehrstuhl ist nicht in der Lage, diese Aufgabe alleine zu schultern. Dies kann letztlich nur dann ge- lingen, wenn alle Beteiligten – Autoren, Abonnenten, Leser, Redakteure (die weibliche Form sei jeweils mitgedacht) und Verlag – aktiv mit dazu beitragen. Mit der Arbeits- gemeinschaft Theorien in der Archäologie e.V. beim Präsidium der deutschen Alter- tumsverbände und dem Waxmann Verlag Münster konnten zwischenzeitlich aber zwei kompetente Partner gewonnen werden, die dabei mithelfen wollen, die EAZ nicht nur zu erhalten, sondern entsprechend der Bedingungen der Gegenwart weiterzuentwi- ckeln. Die nach der Entpflichtung des alten Beirats notwendig gewordene Bestellung ei- nes neuen wissenschaftlichen Beirats steht unmittelbar bevor. Seine Hauptaufgabe wird in der Sicherung des wissenschaftlichen Standards der vorgelegten Beiträge bestehen. Es ist vorgesehen, ein Peer-Review-Verfahren zu etablieren, dem sich alle eingereichten Forschungsbeiträge zu unterziehen haben werden. Beirat und Theorie-AG stehen aber auch bereit, um den Herausgeber im Hinblick auf die Einwerbung von Manuskripten sowie in Fragen der Weiterentwicklung des inhaltlichen Profils der EAZ zu unterstützen. Allerdings wollen wir auch am Bewährten festhalten.

Die EAZ steht in der Tradition des interdisziplinären Zusammenwirkens von Ur- und Frühgeschichte (Ur- und Frühgeschichtlicher Archäologie), Ethnologie (Kulturan- thropologie) und Physischer Anthropologie mit dem Ziel, zu einem besseren Verständ- nis der frühen geschichtlichen Entwicklung des Menschen zu kommen. Sie fühlt sich aber ebenso jenen Traditionen innerhalb der Altertums- und Geschichtswissenschaften verbunden, die aus einer vergleichenden Perspektive heraus versuchen, begründete Ein- blicke in die Entwicklung früher Kulturen zu geben.

In diesem Sinne möchte sie auch in Zukunft Beiträge vorlegen, die in exemplari- scher Weise Grundsatzfragen der archäologischen Fächer (insbesondere Urgeschicht- liche Archäologie, Frühgeschichtliche Archäologie, Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit) aufgreifen und in einer die engeren Fächergrenzen transzendierenden Weise zu klären bemüht sind. Schwerpunkte bilden hierbei traditionell die Ethnoarchäologie sowie seit einigen Jahren auch die Historische Archäologie. Jedoch sind mögliche Bei- träge keineswegs auf diese Bereiche beschränkt. Vielmehr sind innovative Ansätze je- der Art willkommen, die die Grundlagendebatte in den archäologischen Fächern insge- samt voranbringen.

Neben Fallstudien zu bestimmten Epochen und Regionen sollen – wie schon bisher – Beiträge zu den Bereichen Wissenschaftsgeschichte und Theorie / Methodologie der Archäologie einen weiteren Schwerpunkt bilden. Dies schließt auch Diskussionsbeiträge zum weiten Bereich ›Wissenschaft und Gesellschaft‹ (inklusive Denkmalpflege, Museo- logie und Medien) und zur Organisation des Archäologiestudiums mit ein.

Die EAZ ermutigt darüber hinaus insbesondere junge Autorinnen und Autoren zur Einreichung von Beiträgen. Die Publikationsrichtlinien können auf der Homepage der Professur für Ur- und Frühgeschichte der Universität Leipzig (http://www.uni-leipzig. de/~ufg/) nachgelesen und heruntergeladen werden (http://www.uni-leipzig.de/histsem/ index.php?id=1066&S=1). Außerdem finden Sie dort neben aktuellen Informationen zur EAZ (Kontaktadresse, Profil und Satzung, wissenschaftlicher Beirat, Inhaltsver- zeichnisse, Bezugsbedingungen) auch ein Gesamtregister, das noch unter Federführung der alten Herausgeber entstanden ist.

Die Beiträge dieses ersten Heftes (das aufgrund der besonderen Umstände das ein- zige für den Jahrgang 2010 bleiben wird) sind teilweise noch bei der alten Redaktion eingereicht worden. Da die Einwerbung von neuen Beiträgen aber im Hinblick auf das absehbare Ende der EAZ in Berlin auslief und eine unmittelbare Fortsetzung der Ar- beit in Leipzig nicht möglich war, ergab sich eine gewisse Lücke. Sie wird in diesem Heft durch die Aufnahme der Beiträge einer Leipziger Fachtagung gefüllt. Ab 2012 sind dann zwei Hefte pro Jahr geplant.

Um den Lesern der EAZ auch in Zukunft ein breites Spektrum an qualitätvollen Beiträgen vorlegen zu können, bitte ich um die Einreichung von geeigneten Manu- skripten bei der Redaktion. Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung (eaz@uni- leipzig.de).

Leipzig, im September 2011 Ulrich Veit

Inhaltsverzeichnis

Editorial Schwerpunktthema

Der Archäologe als Erzähler

Sabine Rieckhoff, Ulrich Veit, Sabine Wolfram

Zur Geschichte und Theorie des Erzählens in der Archäologie: eine Problemskizze

Ulrich Veit

Die Bedeutung von Narrativität für die Historie: Ein Versuch anhand von zwei Beispielen aus der Antike
Charlotte Schubert

Is narrative necessary?

Mark Pluciennik

»La Jalousie« und Archäologie: Plädoyer für subjektloses Erzählen

Reinhard Bernbeck

Populäre Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert: Motive und Strategien archäologischer Erzähler

Stefanie Samida

Völkerwellen und Kulturbringer. Herkunfts- und Wanderungsnarrative in historisch-archäologischen Interpretationen des Vorderen Orients um 1900
Felix Wiedemann

Carl Schuchhardt (1858–1943): Ein Rückblick auf Alteuropa Manfred K. H. Eggert

Hofberichterstattung. Zur Wirkmächtigkeit des narrativen Ideals in der Hallstattforschung

Matthias Jung

Art and rock-art of the Kimberley, Northwest Australia: Narratives, interpretations and imaginations

Martin Porr

›Frühes Griechenland‹. Zum Problem des Orients in fundierenden Geschichten des Okzidents

Beat Schweizer

Happy-End oder Aufruhr? Zur Narratologie der ›keltischen Kunst‹

Sabine Rieckhoff

Der Bauchredner und seine Puppe. Archäologische Ausstellungen als ›Erzählung‹

Stefan Burmeister

Abhandlung

Körpergewicht und BMI bezeugen einen hohen Lebensstandard im europäischen Mittelalter

Frank Siegmund

Tagungsbericht

Crossing Borders in Southeast Asian Archaeology. 13th International Conference of the European Association of Southeast Asian Archaeologists (EurASEAA) in Berlin vom 27. September bis 1. Oktober 2010
Dominik Bonatz, Andreas Reinecke, Mai Lin Tjoa-Bonatz

Besprechungen

A. Davidovic, Praktiken archäologischer Wissensproduktion. Eine kulturanthropologische Wissenschaftsforschung. Altertumskunde des Vorderen Orients 13. Münster 2009 (M. Jung)
J. Martin, Die Bronzegefäße in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen. Prähistorische Bronzefunde II, 16. Stuttgart 2009 (S. Hansen)
M. Gedl, Die Lanzenspitzen in Polen. Prähistorische Bronzefunde V, 3. Stuttgart 2009 (S. Hansen) K. Finneiser/P. Linscheid/M. Pehlivanian, George Schweinfurth. Pionier der Textilarchäologie und Afrikaforscher. Berlin 2010 (U. van der Heyden)