Jana Esther Fries / Ulrike Rambuscheck / Gisela Schulte-Dornberg (Hrsg.), Science oder Fiction? Geschlechterrollen in archäologischen Lebensbildern. Bericht der 2. Sitzung der AG Geschlechterforschung während des 5. Deutschen Archäologen-Kongresses in Frankfurt (Oder) 2005. Frauen – Forschung – Archäologie 7. Waxmann: Münster u. a. 2007. ISBN 978-3-8309-1749-6. 235 S.
Das Buch ist in fünf Abschnitte gegliedert – »Lebensbilder – Science oder Fiction. Eine Einführung«, »Lebensbilder in wissenschaftlichen Publikationen«, »Lebensbilder in populärwissenschaftlichen Darstellungen«, »Lebensbilder in populären Medien« und »Lebensbild einer Archäologin« –, die bis auf den letzten jeweils zwei bis drei Beiträge umfassen. Bis auf den biographischen Beitrag handelt es sich durchweg um Beiträge von Autorinnen.
Gemeinsames Thema und gemeinsamer Kritikpunkt der
meisten Beiträge ist die Latenz überkommener Geschlechtervorstellungen,
die sowohl in populärwissenschaftlichen Darstellungen wie auch bei
wissenschaftlichen Argumentationen immer wieder durchschlagen.
So beschreibt der Beitrag von Gisela Schulte-Dornberg die Veränderungen
der abendländischen Auslegung von biologischer Weiblichkeit und
Männlichkeit von der Antike über die Scholastiker bis in die Neuzeit.
Gemeinsam sei allen Gelehrten gewesen, dass sie das Weibliche als eine
Abart des Männlichen auffassten und damit als minderwertig. Die
Erklärung für die Unterschiedlichkeit zwischen Körpern variierte jedoch
in den verschiedenen Epochen. So gab es für Aristoteles nur einen
Körper, aus dem sich durch eine Mischung verschiedener Eigenschaften,
die in der Verteilung der inneren Lebenssäfte begründet lag, das
Geschlecht herausbildete. Nach dieser Auffassung lag das Geschlecht
also nicht im Körper begründet. In der Aufklärung habe der Körper eine
Umwertung erfahren, und weiblicher und männlicher Körper hätten fortan
als nicht mehr vergleichbar gegolten. Auch die Wissenschaft der
Aufklärung habe die gesellschaftliche Ungleichheit gerechtfertigt und
sei so in die durch die Auflösung der religiösen Argumentation
entstandene Bresche gesprungen.
Schulte-Dornberg betont, dass die Theorien über Körper und Geschlecht
zwar in jeder Epoche neu formuliert worden seien, aber nie den
universellen Anspruch verloren hätten, unveränderliche biologische
Wirklichkeiten wiederzugeben. Geschlechterrollen seien jedoch eben
nicht »natürlich«, sondern von den Auffassungen der jeweiligen
Gesellschaft abhängig. Bezeichnend ist die Ansicht eines so bedeutenden
Forschers wie Charles Darwin, der den Selektionsvorteil bei den
mutigen, Werkzeug benutzenden Männern verortet sah: »It is indeed
fortunate that the law of equal transmission of characters to both
sexes prevails with mammals. Otherwise it is probable that man would
have become as superior in mental endowment to woman as the peacock is
in ornamental plumage to the peahen« (zitiert S. 38).
Diese Kritik wird insbesondere von Uta Halle und Jutta Leskovar auf
archäologische wissenschaftliche Darstellungen angewandt. Halle zeigt
anhand zweier eisenzeitlicher Fallbeispiele die Tendenz von Archäologen
auf, fremd wirkende Objekte bei weiblichen Toten als Hinweis auf
Migration und bei männlichen als Hinweis auf Handel, Krieg o.ä. zu
deuten. Die Quellenkritik sei in diesen Fällen sträflich vernachlässigt
worden; generell werde die Zuweisung archäologischer Objekte als
»fremd« oder »einheimisch« den Interpretation angepasst.
Zusammenfassend stellt Halle fest, dass bei der Frage von angeblichen
»fremden« Frauen das bürgerliche Geschlechterverhältnis in die
Vergangenheit projiziert werde.
Ähnlich legt Leskovar dar, dass in Bezug auf die Interpretationen
eisenzeitlicher Bildkunst bei den meist sehr stereotyp, ohne eindeutige
Geschlechtsmerkmale dargestellten Personen nicht genug sprachliche und
intellektuelle Sorgfalt angewendet werde. Bei den weitaus meisten
Interpretationen sei unklar, auf welche Weise die ArchäologInnen zu den
Geschlechtszuweisungen gelangt seien, Zirkelschlüsse dominierten.
Leskovar weist auch auf das Problem hin, dass eindeutige
Geschlechtszuweisungen die Einbeziehung anderer möglicherweise
relevanter Kategorien in die Gesamtinterpretation erschwerten. Sie
fordert, dass bei archäologischen Interpretationen die eigene
Vorstellungswelt hinterfragt und das eigene Paradigma, das als
Ausgangspunkt der Interpretationen dient, dargelegt werden müsse, auch
wenn man / frau bei einer derartigen reflexiven Vorgehensweise nicht
notwendigerweise zu »neuen« Interpretationen gelangen würde. Ihrer
Ansicht nach gehört zu methodisch sauberem Arbeiten, dass die
Pluralität der Interpretationen anerkannt werde, da jede Interpretation
nur Wahrscheinlichkeitscha- rakter haben könne. Dies müsse auch stets
deutlich gemacht werden.
Auch wenn Leskovar sicherlich recht zu geben ist, dass viele Aussagen
innerhalb der Archäologie mit zu großer Sicherheit vorgebracht werden,
kann es m. E. allein aus sprachlichen Gründen nicht Ziel sein, in jede
archäologische Aussage ein »wahrscheinlich« einzubauen. Diese kritische
Distanz muss vielmehr vom Leser erwartet – und vorausgesetzt – werden,
damit sich nicht – wie häufig zu beobachten – einmal geäußerte
Wahrscheinlichkeiten mit der Zeit in scheinbar feststehende Wahrheiten
verwandeln.
Innerhalb der Buchbeiträge haben sich Katja Allinger und Miriam
Sénécheau am systematischsten mit populärwissenschaftlichen
Darstellungen beschäftigt. Während Allinger paläolithische Lebensbilder
in populärwissenschaftlichen Arbeiten untersuchte, hat Sénécheau
Lebensbilder ur- und frühgeschichtlichen Inhalts in modernen
Schulbüchern analysiert. Beide können dabei überzeugend zeigen, dass in
beiden Bereichen lang tradierte Genderstereotype dominieren. Dies liege
auch daran, dass ältere, teilweise aus dem 19. Jahrhundert stammende
Vorlagen immer wieder kopiert würden. Dadurch sei die Bandbreite der
dargestellten Themen überraschend eingeschränkt und nach Sénécheau
jeweils epochenspezifisch. Während die Männer jagen oder sich etwa als
Metallurgen betätigen würden, seien Frauen stets mit Hausarbeiten
beschäftigt. Außerdem seien Aktivitäten von Männern häufiger und meist
im Vordergrund dargestellt. Kinder und alte Menschen seien dagegen
deutlich unterrepräsentiert.
In diesen Lebensbildern werde ein traditionelles Rollenverständnis
vermittelt, das weder aktuellen Forschungsergebnissen noch – wie
Sénécheau betont – Leitgedanken der modernen Geschichtsdidaktik
entspreche. Sénécheau weist auch auf das Problem der Lehrpläne hin, die
z. B. im Zusammenhang mit dem Paläolithikum als Thema
»geschlechtsspezifische Arbeitsteilung« vorschreiben bzw. vorschlagen.
Hier muss demnach die Aufklärungsarbeit bereits auf schulpolitischer
Ebene ansetzen. Dass diese nicht vergeblich wäre, zeigt Sénécheau
konkret am Beispiel eines Schulbuches, dessen problematischer Text für
die Zulassung in Nordrhein-Westfalen offenbar abgeändert werden musste.
In ihrem Beitrag setzt sich Marion Kanczok kritisch mit dem
Neanderthal-Museum auseinander, bei dessen Ausstellungskonzeption
bewusst versucht wurde, mit den in den vorherigen Beiträgen
skizzierten, gängigen Geschlechterstereotypen zu brechen. Sie zeigt
dabei auf, in welchen Bereichen die Macher des Museums neue Wege gehen
wollten, aber auch, welche Probleme diese Inszenierungen verursachen
können, wenn sie vom Publikum nicht verstanden werden.
Corinna Endlich vergleicht in ihrem Beitrag die Darstellung von Frauen
und Männern und ihrer Beziehung in Abenteuerfilmen (Indiana Jones und
Lara Croft) und im Fernsehen. So seien zwar Indiana Jones und Lara
Croft recht ähnliche Typen, ihre Begleitpersonen jedoch seien höchst
unterschiedlich: Bei Indiana Jones handele es sich um attraktive,
betont weibliche Frauen, bei Lara Croft dagegen um biedere,
langweilige, zugeknöpfte Männer. Die Beobachtung, dass der Sexappeal
wichtig ist, findet sie auch bei wissenschaftlichen Dokumentationen
bestätigt: Sofern es um archäologische Arbeit geht, verweile die Kamera
gerne bei gut aussehenden Studentinnen, die wissenschaftliche
Aufklärung aber werde von Männern geleistet.
Aus dem hier skizzierten Rahmen der größtenteils feministisch inspirierten Kritik fallen drei Beiträge heraus:
Almut Mainka-Mehling vergleicht drei Abbildungen prähistorischer
Bestattungszeremonien in populärwissenschaftlichen Darstellungen, die
jeweils in einem zeitlichen Abstand von ungefähr 50 Jahren angefertigt
wurden; sie zeigt dabei auf, wie vieldeutig archäologische Fakten
interpretiert oder sogar missbraucht werden können, so z.B. in stark
von der NS-Ideologie geprägten Darstellung aus den 1930er Jahren.
Mainka-Mehling weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass die Künstler
bei ihren Illustrationen zwangsläufig stark aus der eigenen, stark vom
Zeitgeist geprägten Phantasie schöpfen müssten.
Diese Beobachtung von Mainka-Mehling erklärt, wieso das Repertoire an
Illustrationen so eingeschränkt ist, wie Allinger und Sénécheau zeigen
konnten: Wenn die Phantasie nicht ausreichte, haben die Künstler
offensichtlich zu älteren Vorlagen gegriffen.
In dem zweiten Beitrag gibt die Schriftstellern Gyadu einen Einblick in
die Art und Weise ihrer Recherche und legt dar, was sie gerade an der
ägyptischen Lebenswelt so interessiert: Innerhalb der altägyptischen
Gesellschaft genossen Frauen – verglichen mit anderen antiken
Gesellschaften – relativ großen Freiraum.
Bei dem dritten Beitrag handelt es sich um die biographische Skizze von
Matthias Recke über die klassische Archäologin Margarete Bieber
(1879–1978). Bei der Schilderung ihres Lebens legt er die
Schwierigkeiten dar, die sie im beruflichen Leben hatte, sich als Frau
zu behaupten. Als Jüdin eingestuft, wurde ihr 1933 die Ernennung zur
ordentlichen Professorin verweigert, und sie musste in die USA
emigrieren, um sich dort eine zweite Existenz aufzubauen. Recke hebt
bei seiner Darstellung hervor, dass sich Bieber offensichtlich nie als
Exponentin der Frauenbewegung verstanden habe.
Als Biograph schwebt man / frau stets in der Gefahr, durch die enge
Beschäftigung mit seinem Studienobjekt die notwendige Distanz zu
verlieren. Recke ist leider ebenfalls Opfer der Versuchung geworden,
sich zu stark mit der biographierten Person zu identifizieren. So hätte
man ihren Versuch, sich mit dem NS-Regime zu arrangieren, indem sie in
einem Brief beteuert, ihre Adoptivtochter im nationalsozialistischen
Geist zu erziehen, und eine Spendenquittung an die Waffen-SS beilegt,
auch etwas drastischer als nur als »tragisch« charakterisieren können.
Zeitgenössische Belege, dass Bieber dem NS-Regime bereits vor ihrer
Emigrierung kritisch gegenüberstand, kann Recke offensichtlich nicht
präsentieren, behauptet aber dennoch, dass diese Versuche »natürlich
nicht als Identifizierung mit dem System verstanden werden« dürften (S.
223 f.)
Zentrale Quelle war für Recke die bis 1973 verfasste Autobiographie von
Margarethe Bieber. Andere Quellen hat er leider nur begrenzt
hinzugezogen, obwohl diese vermutlich manchen Sachverhalt besser und
vor allem facettenreicher beleuchtet hätten. Trotz einiger
interessanter Details bleibt die biographische Skizze von Recke deshalb
profil- und die Person Margarete Biebers farblos.
Die im Buch deutlich von feministischer Seite inspirierte Kritik hat
inzwischen in hohem Maße in den Mainstream archäologischer Theorie
Einzug gehalten. Dennoch ist es anregend, gängige Genderinterpetationen
und -darstellungen gegen den Strich gebürstet zu sehen, und das Buch
bietet eine gute Gelegenheit, die eigenen Ansichten und Seh- und
Denkgewohnheiten kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren. Insofern
ist zu wünschen, dass es einen möglichst breiten archäologischen und
nicht-archäologischen LeserInnenkreis erreicht.