Am 02.-04.4.2019 veranstalten wir auf der Tagung des West- und Süddeutsche Verbandes für Altertumsforschung (WSVA) und des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung (MOVA) gemeinsam mit der AG Neolithikum eine (vor allem) zeitspezifische Sektion. Thema ist dieses Mal „Mensch – Körper – Tod. Der Umgang mit menschlichen Überresten im Neolithikum“.
Programm (auch hier zum downloaden)
Dienstag, den 02.04.2019
10:00 – 12:30 Uhr • Mitgliederversammlung der AG TidA
12:30 Uhr • Mittagspause
14:00 Uhr • Nadia Balkowski, Kerstin P. Hofmann, Isabel Hohle, Nils Müller-Scheeßel, Almut Schülke, Begrüßung und Einleitung (Organisatorisches und Inhaltliches)
14:50 Uhr • Ulrich Veit, Jenseits von Historismus und Anthropologie: Überlegungen zu einem kulturtheoretischen Rahmen für das Studium neolithischer Praktiken der Totenbehandlung
15:30 Uhr • Kaffeepause
16:00 Uhr • Heidi Peter-Röcher, Gewalt an Lebenden – Gewalt an Toten: zu Kontexten und Interpretationsmöglichkeiten menschlicher Überreste
Mittwoch, den 03.04.2019
09:00 Uhr • Franziska Holz, Die Abgrenzung prä- und perimortaler knöcherner Verletzungen von postmortalen Defekten – illustriert an ausgewählten Schädeln aus dem Beinhaus von St. Lubentius (Limburg-Dietkirchen)
10:00 Uhr • Kaffeepause
10:30 Uhr • Franz Pieler, Maria Teschler-Nicola, Asparn/Schletz: Archäologische und anthropologische Bestandsaufnahme und Ausblick
11:10 Uhr • Johanna Ritter, „Wo sind all die Toten hin?“ Theorien und Konzepte zum bandkeramischen Bestattungswesen in Hessen
11:50 Uhr • Joachim Pechtl, Vielfalt in Leben und Tod – linienbandkeramische Bestattungskollektive in Südbayern
12:30 Uhr • Mittagspause
14.00 Uhr • Nils Müller-Scheeßel, Ivan Cheben, Zuzana Hukelova, Martin Furholt, Kopflose Skelette und aufgebahrte Leichen: Die Toten der bandkeramischen Siedlung von Vráble/Südwestslowakei im Vergleich mit gleichzeitigen Kollektiven
14:40 Uhr • Postersession:
Benjamin Spies, Eine Menschenzahnkette der jüngeren Bandkeramik aus Mainfranken
Julia Hahn, Wie tickten die Taubertaler? Das schnurkeramische Gräberfeld Markelsheim-Fluräcker im regionalen Vergleich aus anthropologischer Sicht
15:30 Uhr • Kaffeepause
16:00 Uhr • Alexander Gramsch, Birgit Großkopf, Das Itinerarium des menschlichen Körpers. Eine interdisziplinäre Spurensuche
Donnerstag, den 04.04.2019
09:20 Uhr • Stefan Schreiber, Sabine Neumann, Vera Egbers, “I like to keep my archaeology dead”. Entfremdung und “Othering” der Vergangenheit als ethisches Problem
10:00 Uhr • Kaffeepause
10:30 Uhr • Sara Schiesberg, Christoph Rinne, Knochen – Teilverband – Skelett. Neue Untersuchungsergebnisse und interkulturell vergleichende Überlegungen zum Totenritual kollektiv bestattender Populationen
11:10 Uhr • Christoph Steinmann, Artikulierte und disartikulierte menschliche Überreste in der Mecklenburgischen Megalithik
11:50 Uhr • Mitgliederversammlung der AG Neolithikum
12:30 Uhr • Mittagspause
14:00 Uhr • Torsten Schunke, Der Umgang mit den Ahnen bei Salzmünde, Saalekreis – Die Umbettung eines Kollektivgrabes der Bernburger Kultur und nachfolgende Eingriffe in den Befund
14:30 Uhr • Martin Nadler, Gedanken zu den sog. Silobestattungen der Münchshöfener und Michelsberger Kultur
15:00 Uhr • Rouven Turck, Niels Bleicher, Leben und Sterben auf dem Abfallhaufen? Menschliche Skelettreste in Jungsteinzeitlichen Seeufersiedlungen (ZH-Opéra)?
15:30 Uhr • Kaffeepause
16:00 Uhr • Clara Drummer, Grabhandlungen oder Handlungen am Grab? Die Bedeutung schnurkeramischer Scherben und unterschiedlicher Bestattungskonzepte am Beispiel des Galeriegrabes Altendorf, Lkr. Kassel
16:40 Uhr • Abschlussdiskussion
Ulrich Veit • Jenseits von Historismus und Anthropologie: Überlegungen zu einem kulturtheoretischen Rahmen für das Studium neolithischer Praktiken der Totenbehandlung
Die moderne kulturwissenschaftliche Forschung im Sinne einer ‚Historischen Kulturwissenschaft‘ hat – ebenso wie eine explizit ‚kulturgeschichtlich‘ ausgerichtete prähistorische Forschung – ihre Wurzeln im frühen 20. Jahrhundert. Trotzdem sind beide akademische Traditionen einander bis heute weitgehend fremd geblieben. Ansätze prähistorisch-archäologischer Forschung sind, wo sie nicht ein enges szientistisches Paradigma zu imitieren suchen, bis heute überwiegend einem historistischen Denken verhaftet: Sie betonen die Vielfalt und Eigenwertigkeit der untersuchten historischen Situationen – und verstellen sich damit die Möglichkeit einer komparativen Betrachtung. Archäologie erscheint als ein nie endendes Puzzlespiel, dessen Reiz v.a. darin liegt das existierende Bild durch zusätzliche, möglichst bunte Elemente zu ergänzen. Nicht besser sieht es mit Blick auf einige jüngere, stärker szientistisch geprägte Ansätze aus: Hier bleibt die Komparation zumeist einseitig auf ein naturalisiertes Menschenbild bezogen. Entsprechend wird Kultur auf eine Anpassung an äußere Bedingungen (natürliche und soziale Umwelt) reduziert und letztlich universellen Gesetzen unterstellt.
Diese Situation bringt es mit sich, dass heute in beiden in der deutschsprachigen Prähistorie miteinander konkurrierenden Ansätzen die unabänderliche Bindung historischen Wissens an gegenwärtige Problemhorizonte weitgehend negiert wird – und man zugleich die daraus resultierende Notwendigkeit, (Ur-)Geschichte stets neu zu schreiben, übersieht. Genau dies aber ist die Grundidee einer Historischen Kulturwissenschaft, wie sie Max Weber u.a. am Beginn des 20. Jahrhunderts formuliert haben.
Ziel des geplanten Beitrags soll es sein, die skizzierten Modi archäologischen Forschens im Hinblick auf aktuelle Deutungsansätze neolithischer Praktiken der Totenbehandlung exemplarisch zu erläutern und darüber hinaus anzudeuten, was es bedeuten würde, wenn wir die im Fach ja durchaus populäre Wendung von der ‚Archäologie als historischer Kulturwissenschaft‘ wirklich ernst nähmen. Dazu wird einerseits nötig sein an ältere fachinterne Bemühungen anzuknüpfen, in deren Kontext schon seit geraumer Zeit klassische kulturwissenschaftliche Konzepte und Theorien (E. Durkheim, M. Mauss, A. van Gennep, R. Hertz u.a.) aufgegriffen wurde. Darüber hinaus sollen aber insbesondere auch Beiträge von zeitgenössischen KulturwissenschaftlerInnen diskutiert werden, in denen Hinweise auf steinzeitliche Bestattungspraktiken mit zur Begründung spezieller Kulturtheorien herangezogen werden (P. Bourdieu, H. Belting, Th. Macho u.a.).
Heidi Peter-Röcher • Gewalt an Lebenden – Gewalt an Toten: zu Kontexten und Interpretationsmöglichkeiten menschlicher Überreste
Kriegerische Gewalt und andere blutige Szenarien wie Menschenopferungen, Folter und Kannibalismus scheinen die Diskussion über die Deutung menschlicher Überreste außerhalb „regulärer“ Gräber zu beherrschen, und zwar insbesondere in Bezug auf das (frühe) Neolithikum. Dieses erscheint zuweilen geradezu als Abbild der Moderne samt „warlords“ und Kriegsgreueln. Andere Möglichkeiten der Interpretation wie Formen der Sekundärbestattung werden, zumindest für das Neolithikum oder einige seiner Abschnitte, seltener in Erwägung gezogen bzw. beachtet. Diese Problematik soll anhand von Beispielen erörtert werden.
Franziska Holz • Die Abgrenzung prä- und perimortaler knöcherner Verletzungen von postmortalen Defekten – illustriert an ausgewählten Schädeln aus dem Beinhaus von St. Lubentius (Limburg-Dietkirchen)
Einleitung: Weisen menschliche Skelette oder einzelne Knochen Beschädigungen auf, stellt sich vornehmlich die Frage nach ihrer Entstehungszeit: prä-, peri- oder postmortal. Um den Todeseintritt herum entstandene Verletzungen werden als perimortal bezeichnet. Sie sind von besonderer forensischer Relevanz, da sie Hinweise auf die Todesumstände und die Todesursache geben können. Von ihnen klar abzugrenzen sind einerseits die (zumindest ein gewisses Zeitintervall) überlebten, sog. prämortalen Traumata; und andererseits die nach dem Tod entstandenen, sog. postmortalen Defekte, die häufig durch Erddruck oder im Rahmen von Bergungs- oder Umlagerungsmaßnahmen entstehen.
Material und Methoden: Es erfolgte eine Auswertung der Fachliteratur (pubmedgelistete Publikationen und Lehrbücher) zur Unterscheidung von prä- und perimortalen Traumata sowie postmortalen Defekten. Die im Beinhaus von St. Lubentius aufgefundenen 739 Schädel(-knochenfragmente) wurden u.a. hinsichtlich der daran ersichtlichen Verletzungen und postmortal entstandenen Artefakte qualitativ und quantitativ untersucht.
Ergebnisse: Anhand von ausgewählten Schädeln aus dem Beinhaus von St. Lubentius wird ein Überblick über makroskopisch fassbare Kriterien zur Differenzierung der Entstehungszeit von Verletzungen (prä- vs. perimortal) und postmortalen Defekten gegeben. Von den im Beinhaus von St. Lubentius aufgefundenen Schädeln wies etwa jeder 10. prämortale und etwa jeder 20. perimortale Verletzungen auf, wobei die Verteilung von Geschlecht und Sterbealter abhängig war. Die meisten Verletzungen waren Folge stumpfer Gewalteinwirkungen und am Stirn- oder linken Scheitelbein lokalisiert.
Franz Pieler, Maria Teschler-Nicola • Asparn/Schletz: Archäologische und anthropologische Bestandsaufnahme und Ausblick
In Asparn/Schletz, Niederösterreich, wurden zwischen 1983 und 2005 mit finanzieller Unterstützung des Landes NÖ archäologische Grabungen durchgeführt. Im Verlaufe dieser Forschungen wurden Ausschnitte einer befestigten Siedlung der jüngeren LBK freigelegt, die vor allem durch die aufsehenerregenden Skelettfunde aus den Gräben europaweite Beachtung gefunden hat.
Bislang ist die umfassende Aufarbeitung der archäologischen Funde und Befunde, von Einzeldarstellungen abgesehen, die sich etwa mit der Identifikation und Rekonstruktion eines Brunnens oder der Stratigrafie und Bauabfolge der Gräben befassten, ein Desiderat geblieben. Auch das Potential der Anthropologie, deren Blick zunächst verstärkt auf die Dokumentation und Analyse der krankhaften und traumatischen Veränderungen der aus den Gräben geborgenen Individuen gerichtet war, ist nicht restlos ausgeschöpft.
In unserem Beitrag wollen wir das kürzlich bewilligte Forschungsprojekt für die Aufarbeitung der Archäologie vorstellen, das vom Land NÖ im Rahmen der FTI (Forschung-Technologie-Innovation)-Strategie bewilligt wurde. Im Fokus stehen dabei Fragen, die sich anhand des mobilen Hausrats mit der Besiedlungsstruktur und Chronologie sowie mit den Fernbeziehungen und der Mobilität der Bevölkerung auseinandersetzen. Einen weiteren wesentlichen Aspekt stellt die auch für die anthropologische Auswertung relevante chronologische Abfolge der Gräben dar, die die bislang offenen Fragen bezüglich der Struktur der Erdwerke klären könnte. Thematisieren wollen wir darüber hinaus die bislang wenig beachteten regulären Bestattungen aus der Siedlung und aus den Gräben, wobei auch Neuerkenntnisse aus den Isotopen- und aDNA-Analysen angesprochen werden.
Johanna Ritter • „Wo sind all die Toten hin?“ Theorien und Konzepte zum bandkeramischen Bestattungswesen in Hessen
Der während der Bandkeramik dicht besiedelte Raum Hessen eignet sich bestens als Grundlage der Betrachtungen unterschiedlicher Problematiken, die sich im Kontext des Bestattungswesens aus dieser Zeit ergeben: Den Anfang bilden hier bereits die oftmals wenig pietätvollen Bergungsmöglichkeiten, die sich den Archäologen auf Rettungsgrabungen bieten bis hin zu Verunglimpfungen der menschlichen Überreste, die sich auf manch einer Ausgrabung ereigneten – das wirft die Frage auf, ob Menschen, die wir nicht kennen und die bereits lange tot sind, denn keinen angemessenen Umgang verdienen. Unmittelbar daran schließt sich die Frage nach der Lagerung und potentiellen Ausstellung dieser Überreste an – was bedeutet uns als Wissenschaftlern in diesem Kontext das, was einst ein Mensch war und sollte er einfach in einer Archivkiste in einem Depot verschwinden?
Gleichzeitig bedeutet das Thema „Bestattungen der Bandkeramik“ auch noch immer das in den Köpfen manch eines Wissenschaftlers herumspukende „bandkeramische Gräberfeld“ – das es nachweislich in Hessen nie gab. Ein kurzer Überblick über die Bestattungen der hessischen Bandkeramik aktueller Ausgrabungen bestätigt dies und sollte das Feld für Überlegungen zu alternativen Bestattungsszenarien öffnen.
Den Abschluss können die vielbeachteten Darstellungen menschlicher Körper aus den keramischen Warenspektren der Bandkeramik bilden – sind sie das, als was wir modernen Forscher sie sehen? Menschen, Götter, Ahnen? Oder am Ende nicht einmal Körper? Derlei (Über-)Interpretationen bestimmter keramischer Gestaltungen können selbstverständlich die Ansprache der Stücke erleichtern – müssen jedoch von Zeit zu Zeit reflektiert werden, um sich weiterhin der Ambivalenz bewusst zu bleiben. Unser heutiges Verständnis und unsere heutige Vorstellung von Mensch im Kontext von Darstellung, Leben und Tod kann uns bei Deutungen vergangener Kulturen so manchen Streich spielen.
Die hessische Bandkeramik ist somit nicht nur reich an Fundstellen, sondern ebenso reich an aufgeworfenen Fragen, wobei sich eine der prominentesten zusammenfassen ließe: „Wo sind all die Toten hin?“.
Joachim Pechtl • Vielfalt in Leben und Tod – linienbandkeramische Bestattungskollektive in Südbayern
Seit der Publikation der überregional bis heute grundlegenden Arbeit „Linearbandkeramische Gräberfelder in Bayern“ durch Norbert Nieszery (1995) hat sich nicht nur der Quellenbestand zu altneolithischen Bestattungen in Südbayern erheblich vergrößert, sondern es haben sich auch die archäologischen Fragestellungen gewandelt – auch und gerade unter dem Eindruck der rasanten Entwicklung naturwissenschaftlicher Analysemethoden. So richtet sich der Blick immer mehr auf das Individuum mit seiner ganz persönlichen Biografie, seinen Lebensbedingungen und seiner spezifischen Umwelt.
Anhand verschiedener intensiv untersuchter Bestattungskollektive aus dem südbayerischen Raum (etwa Otzing, Niederpöring, Essenbach, Dillingen-Steinheim) ist es möglich, einerseits die Fülle und Komplexität der verschiedenen regional praktizierten Bestattungsweisen aufzuzeigen. Diese reichen von aufwändigen Körperbestattungen über Brandbestattungen und sekundären Bestattungen bis hin zur Deponierung massiv manipulierter Leichenteile, wobei sowohl Siedlungsareale als auch abseits gelegene Gräberfelder genutzt werden. Andererseits wurden auch die sterblichen Überreste eingehend untersucht. Außer intensiven morphologischen Befundungen wurden Isotope leichter Elemente zur Ernährungsrekonstruktion analysiert und Strontium-Isotope zur Untersuchung der persönlichen Mobilität. Zudem konnten bei einigen Individuen Sequenzierungen der DNA vorgenommen werden. Aus der Kombination von archäologischen und naturwissenschaftlichen Daten ergibt sich die Möglichkeit, Muster zu erkennen und sich somit den Regeln anzunähern, die der jeweils spezifischen Entscheidung zugrunde lagen, wer wo und wie bestattet wurde. Altbekannt ist, dass hierbei Alter und Geschlecht eine bedeutsame Rolle spielen, nun zeichnet sich aber auch eine soziale Differenzierung deutlicher ab.
Nils Müller-Scheeßel, Ivan Cheben, Zuzana Hukelova, Martin Furholt • Kopflose Skelette und aufgebahrte Leichen: Die Toten der bandkeramischen Siedlung von Vráble/Südwestslowakei im Vergleich mit gleichzeitigen Kollektiven
Innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses zur bandkeramischen Behandlung der Toten ist in den letzten Jahren eine deutliche Verschiebung festzustellen. Nachdem über viele Jahre hinweg die Bestattung in ‚regulär‘ erscheinenden Gräberfeldern die Wahrnehmung bestimmt hatte, waren zunächst die immer regelhafter auftretenden Siedlungsbestattungen in den Fokus gerückt (Veit 1996). In letzter Zeit sind die Fundstellen mit Spuren von Gewaltanwendung an deren Stelle getreten (Asparn, Talheim, Herxheim, Halberstadt), wobei man den Eindruck erhält, als ob die Interpretationen nicht makaber genug sein können.
Aus unserer Sicht kann die südwestliche Siedlung von Vráble/Südwestslowakei zu dieser Diskussion einen signfikanten Beitrag liefern. Bei Ausgrabungen im Bereich eines bandkeramischen Erdwerks wurden sowohl Individuen entdeckt, die einem ‚regulär‘ erscheinenden Bestattungsritual unterzogen worden waren, wie auch solche, die innerhalb des Grabens ohne Aufwand deponiert erscheinen und zudem postmortale Manipulationen (Entfernung des Schädels) aufweisen. Ein genauerer Blick auf die Befundsituation zeigt allerdings, dass diese Trennung weniger eindeutig ist, als sie zunächst scheint.
Wir diskutieren die anthropologischen Ergebnisse und die Charakteristika der Skelettpopulation im Vergleich mit gleichzeitigen Kollektiven aus Gräberfeldern, Siedlungen und Gewaltereignissen, um vor allem der Frage nachzugehen, inwieweit bei den Bestattungspraktiken sozio-kulturelle Auswahlkriterien wirksam waren.
Postersession:
Benjamin Spies • Eine Menschenzahnkette der jüngeren Bandkeramik aus Mainfranken
1976 wurden aus einer Siedlungsgrube der jüngeren LBK (M. Brandt, Materialvorlage und statistische Untersuchungen zur Bandkeramik in Unterfranken, Materialhefte zur bayer. Vorgeschichte 54, 1985) nahe Zeuzleben (Lkr. Schweinfurt) insgesamt 29 menschliche Zähne geborgen, die allesamt eine Durchbohrung im Wurzelbereich aufwiesen (F. Beßler, M. Brandt, H.-D. Mierau, G. Wegner, Ausgrabungen und Funde in Unterfranken 1978, Frankenland NF 30, 1978, 320-322). Entsprechend erster zahnmedizinischer Untersuchungen müssen die Zähne von wenigstens drei bis maximal 29 verschiedenen Individuen stammen, darunter mindestens zwei Kinder im Alter von zehn bis elf Jahren. In keinem Fall dürften Karies oder Zahnbetterkrankungen für den Verlust der Zähne verantwortlich gewesen sein.
Auf die Nutzung der durchbohrten Zähne gibt es verschiedene Hinweise. Bernstein- bis schwefelgelbe Farbspuren auf den Zähnen deuten auf deren postmortale Einfärbung mit einem ockerfarbenen bis roten Farbstoff hin. Daneben treten parallel zur Zahnachse verlaufende, scharf begrenzte Schliffspuren auf, die wohl von harten Gegenständen verursacht wurden, welche über längere Zeit hinweg an den Zähnen rieben. Diese postmortalen Abrasionen legen nahe, dass die Zähne als Kette getragen wurden und mit anderen harten Gegenständen, wie vielleicht Muschelschalen oder Schneckenhäusern, abwechselnd aneinandergereiht waren.
Vergleichbare Befunde sind aus dem mitteleuropäischen Neolithikum nur in zwei Fällen bekannt. Beide datieren ebenfalls in den jüngeren Abschnitt der Bandkeramik: So wurde eine vergleichbare Fundsituation bei den Grabungen an der jüngerbandkeramischen Anlage von Herxheim angetroffen, wo durchbohrte Tier- und Menschenzähne sowie perforierte Muschelschalen und Schneckengehäuse dicht beieinanderliegend aufgefunden wurden. Hier denken die Bearbeiter über eine Verwendung der Stücke als Kette oder Kleidungsbesatz nach (A. Zeeb-Lanz, F. Haack, S. Bauer, Menschenopfer – Zerstörungsrituale mit Kannibalismus – Schädelkult: Die außergewöhnliche bandkeramische Anlage von Herxheim in der Südpfalz, Mitt. Hist. Ver. Pfalz 111, 2013, 5–53).
Ein weiteres Beispiel ist aus dem bandkeramischen Gräberfeld von Nitra in der heutigen Slowakei überliefert. Dort wurde ein etwa 40-jähriger Mann bestattet, um dessen Hals sich fünf im Wurzelbereich durchbohrte Menschenzähne sowie zwei Zähne eines Hundes oder Fuchses fanden. Eine Interpertation als Halskette erscheint in diesem Fall als sehr naheliegend (J. Pavúk, Neolithisches Gräberfeld in Nitra. Slovenská Arch. 20 (1), 1972, 5-105).
Während naturwissenschaftliche Analysen an den Menschrenresten aus Herxheim inzwischen ein neues Licht auf die Lebensverhältnisse der Bandkeramik werfen, stehen entsprechende Untersuchungen an den Zähnen aus Zeuzleben noch aus. Doch auch hier stellen sich spannende Fragen, wie beispielsweise: Stammen die Zähne von Ortsansässigen oder Fremden? Standen die vormaligen Träger der Zähne vielleicht in einer verwandschaftlichen Beziehung zueinander? Und was sagt uns die Verwendung von Menschenzähnen als Ornamente allgemein über den Umgang mit sterblichen Überresten während Bandkeramik aus?
Julia Hahn • Wie tickten die Taubertaler? Das schnurkeramische Gräberfeld Markelsheim-Fluräcker im regionalen Vergleich aus anthropologischer Sicht
2011/12 wurde bei archäologischen Untersuchungen in Markelsheim-Fluräcker (BadenWürttemberg) ein schnurkeramischer Bestattungsplatz angeschnitten. Dabei konnten 33 Gräber mit 39 in Hockerlage bestatteten Individuen auf einer Niederterrasse nördlich der Tauber freigelegt werden. Diese wurden im Rahmen einer Magisterarbeit anthropologisch ausgewertet. Der Beitrag befasst sich mit der Frage, wie die damalige Markelsheimer Bevölkerung ihre Verstorbenen beisetzte. Dies wird durch einen Vergleich mit anderen Gräberfeldern des Untersuchungsgebiets in den regionalen Rahmen des Taubertals (v. a. Tauberbischofsheim-Dittigheim, TauberbischofsheimImpfingen und Lauda-Königshofen) eingeordnet. Zudem erfolgt auch ein kurzer Vergleich mit den schnurkeramischen Bestattungspraktiken insgesamt. Durch die lokal stark variierende Skeletterhaltung mit einem Anteil von über 50 % an schlecht erhaltenen Skeletten konnten in Markelsheim lediglich 23 % der Individuen geschlechts-, aber 92 % altersbestimmt werden. Daher liegt der Fokus auf der Ausgestaltung der Gräber und Niederlegungsweise der Individuen. Dabei zeigte sich beispielweise, dass die gängige bipolare Bestattungsweise der Schnurkeramik (Frauen in linker Hockerlage mit Kopf im Osten, Männer in rechter mit dem Kopf im Westen) in Markelsheim, bei den wenigen geschlechtsbestimmten Individuen, für die Region ungewöhnlich strikt eingehalten wurde. Allerdings handelt es sich bei der Ausrichtung eher um zonale Bereiche als um eine exakte Himmelsrichtung. Natürlich darf die Problematik der kleinen Zahlen nicht außer Acht gelassen werden. Interessant ist auch, dass scheinbar die obere Körperhälfte für die Niederlegung von Grabbeigaben bevorzugt wurde.
Die Analyse kann als weiterer, wenn auch sehr kleiner, Mosaikstein zum Verständnis der schnurkeramischen Bestattungspraktiken beitragen.
Alexander Gramsch, Birgit Großkopf • Das Itinerarium des menschlichen Körpers. Eine interdisziplinäre Spurensuche
Der menschliche Körper wird in der Archäologie und Anthropologie einerseits als ein Datenrepositorium zur Untersuchung von biologischem Alter und Geschlecht, Ernährung und Krankheiten verstanden. So wird eine Vielzahl einzelner Daten gesammelt, die über gesellschaftliche Zustände und Entwicklungen Auskunft geben sollen. Andererseits richten heute die Ansätze der Osteobiographie und der Thanatoarchäologie ihre Aufmerksamkeit auf das Schreiben individueller Biographien und auf die Anthropologie des Todes anhand des Körpers. Wir wollen das Konzept der Osteobiographie auf den Zeitraum des Todes ausweiten und es so mit der Thanatoarchäologie verknüpfen, indem wir den postmortalen Umgang mit dem Körper in die Biographie des Individuums aufnehmen. Diese Verknüpfung fassen wir unter dem Schlagwort des „Itinerariums des menschlichen Körpers“.
In einem interdisziplinären Pilotprojekt der Römisch-Germanischen Kommission und der Historischen Anthropologie der Universität Göttingen werden zurzeit menschliche Knochen auf postmortale Manipulationen untersucht mit dem Ziel, sich dem Umgang mit dem Tod und dem toten Körper im Neolithikum zu nähern und eine Osteobiographie von Individuen im Zeitraum des Todes zu schreiben. Eine Auswahl an Knochen vom frühneolithischen Fundplatz von Herxheim (Rheinland-Pfalz), der bereits Hinweise auf Manipulationen geliefert hat, wird nun mit Hilfe eines Digitalmikroskops erneut untersucht, um mit Hilfe der hierbei erstellten mikroskopischen Aufnahmen, Querschnitte und 3D-Modelle Spuren zu dokumentieren, die auf Handlungen verweisen, die zur Auflösung des Skelettverbands und / oder zur Umlagerung der Menschenknochen führten. Bei erfolgreichem Test des Mikroskops sollen in Folgeprojekten weitere Fundplätze mit dislozierten Menschenknochen in die Untersuchung einbezogen werden.
Stefan Schreiber, Sabine Neumann, Vera Egbers • “I like to keep my archaeology dead”. Entfremdung und “Othering” der Vergangenheit als ethisches Problem
Als Archäolog*innen setzen wir uns ständig mit den Toten der Vergangenheit auseinander. Und im Gegensatz zur Ethnoarchäologie halten wir unsere Archäologie gerne für tot, wie David Clarke einmal sagte. Einerseits erscheint aus erkenntnistheoretischer Sicht eine epistemologische Entfremdung von den Toten fast unvermeidlich, da wir sonst lediglich die heutigen Bedingungen mit all ihren Problemen rückprojizieren würden. Deshalb muss die Vergangenheit ein „foreign country“ sein und bleiben (können). Aber Entfremdung hat neben epistemologischen auch ethische Implikationen, besonders wenn es um das Studium menschlicher Überreste geht. In unserem Vortrag analysieren wir die Strukturen innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin Archäologie, die Praktiken wie die Markierung von menschlichem Knochenmaterial während der Ausgrabung oder die objekthafte Darstellung von Skeletten in Museen normalisieren. Wir argumentieren, dass Archäolog*innen eine ethische Verantwortung gegenüber früheren Subjekten oft leugnen und wollen eine Debatte über alternative Strategien in der Behandlung von Toten eröffnen.
Sara Schiesberg, Christoph Rinne • Knochen – Teilverband – Skelett. Neue Untersuchungsergebnisse und interkulturell vergleichende Überlegungen zum Totenritual kollektiv bestattender Populationen
Die jüngere Forschungsgeschichte zu den neolithischen Kollektivgräbern Nord- und Mitteleuropas ist durch eine spezifische Modellvorstellung zur Bestattungssitte geprägt. Der zur Folge habe man in den Gräbern primäre Bestattungen niedergelegt, die später beiseite geräumt wurden, um Platz für neue Bestattungen zu schaffen. Die Gegenhypothese einer sekundären Grablege lasse sich hingegen durch unterschiedliche Charakteristika des neolithischen Skelettmaterials falsifizieren. Um die Validität dieser Argumentationsstruktur zu überprüfen, werden die sterblichen Überreste von rezenten Populationen mit bekannter, sekundärer Bestattungspraxis in die Betrachtungen miteinbezogen. Im Ergebnis scheint die Beurteilung der prähistorischen Befunde in erster Linie davon abzuhängen, wie sich die entsprechenden Bearbeiter eine Sekundärbestattung vorstellen. Prägend sind hier Konzepte zu Sekundärbestattungen, die den in westlichen Staatengesellschaften praktizierten Handlungsabläufen entsprechen. Die Sekundärbestattungen in nicht-staatlichen Gesellschaften bezeugen hingegen eine größere Bandbreite an Ritualen. In deren Zentrum stehen oftmals aufwendige Zeremonien, die in zyklischen Intervallen abgehalten werden. Solche Formen der Sekundärbestattung bieten sowohl ein erklärungsmächtiges Modell für die Bestattungshorizonte der Kollektivgräber als auch für die sterblichen Überreste der zeitgleich genutzten Flachgräberfelder. Diese Neuinterpretation bietet nicht nur eine andere Perspektive auf den Totenkult der Trichterbecherzeit, sondern stellt auch etablierte Konzepte zur Datierung in Frage, weil das Skelettmaterial, die Artefakte und die Grabarchitektur im Falle einer Sekundärbestattung nicht zwingend gleich alt sind. Dabei erweitern umfangreiche Serien an Radiokarbondaten die Perspektive auf lange Traditionsräume.
Christoph Steinmann • Artikulierte und disartikulierte menschliche Überreste in der Mecklenburgischen Megalithik
Im Fokus detaillierter Untersuchungen zur mecklenburgischen Megalithik standen fünf morphologisch unterschiedliche Naturräume, in denen 551 Megalithmonumente in den Untersuchungen berücksichtigt wurden. Von diesen 551 sind mit 144 Megalithbauwerken gut ein Viertel im 19. und 20. Jahrhundert ausgegraben worden.
Menschliche Überreste konnten zwar nur in 30 % der ausgegrabenen Monumente beobachtet bzw. geborgen werden, aber dabei fallen signifikante Muster in der Niederlegungsart auf, die sich grundsätzlich in einen artikulierten und disartikulierten Modus unterscheiden lassen. In knapp einem Zehntel der Kammern befanden sich die menschlichen Knochen noch im anatomischen Verband, so wie es bei Begräbnissen oder Niederlegungen kurz nach dem Tod der Fall ist. Solche artikulierten Niederlegungen sind auch für die Einzelbestattungen typisch, die im ausgehenden Mesolithikum und beginnendem Spätneolithikum gebräuchlich waren.
In der überwiegenden Mehrzahl der Kammern (84,1 %) herrscht jedoch die disartikulierte Niederlegung vor, bei der die Knochen nicht im anatomischen Verband deponiert sind. Zahlreiche Spuren verweisen auf eine Verwesung der Weichteile der Körper außerhalb der Kammern und eine nachfolgende Niederlegung ausgewählter Knochenensembles.
Die Disartikulation kann weiterhin in zwei Unterformen der symbolischen Bestattung aufgeschlüsselt werden: Die kollektive Sammelbestattung und die kommunale Gemeinschaftsbestattung. Bei der Sammelbestattung sind innerhalb der Kammer disartikulierte Individuen als Einzelne noch erkennbar, die zusammen, jeder mit seinem „Knochenhaufen“, das Kollektiv der Toten bilden. Kommunale Gemeinschaftsbestattung ermöglichen keine Erkennung von disartikulierten Individuen mehr, hier sind die Knochen komplett durchmischt oder nach Arten umsortiert (z.B. Schädel und Langknochen). Das verstorbene Individuum geht in einer Gemeinschaft der Toten auf. Kommunale Gemeinschaftsbestattungen sind jedoch nur für einen kurzen Abschnitt am Übergang vom Mittel- zum Spätneolithikum typisch.
Zusammen mit 33 nicht-megalithische Bestattungen sind im Zeitraum von etwa 1.400 Jahren jedoch nur gut 200 Individuen erfassbar, so dass andere Formen des Umgangs mit Verstorbenen existiert haben müssen. Da diese eindeutig dominierten, kann von einer reinen Symbolik der Knochendeponierungen in Megalithkammern ausgegangen werden. Über die Begehbarkeit der Kammern waren die Reste der Verstorbenen zugänglich und konnten gleichsam in die Gesellschaft der Lebenden zurückgeholt werden. Das Fragmentarische ihrer Präsenz mündet zugleich in eine symbolische Vertreterrolle – ein Teil steht für das Ganze. Aspekte wie diese sind typisch für praktizierte Ahnenverehrungen: Neolithische Gesellschaften waren mit der gelebten Erinnerung an die Vergangenheit durch deren zeitliche Kontinuität bis in ihre Gegenwart verwurzelt.
Megalithmonumente waren mit den in ihnen praktizierten Totenbehandlungen Orte der Ahnen und Orte der Vermittlung zwischen den Toten und Lebenden. Sie fungierten als aktive soziale Transformatoren, wie der Übergang zur kommunalen Gemeinschaftsbestattung ebenso illustriert wie die konsequente Aufgabe ihrer aktiven Nutzung noch zu Beginn des mecklenburgischen Spätneolithikums, ab dem artikulierte Einzelbestattungen dominierten.
Torsten Schunke • Der Umgang mit den Ahnen bei Salzmünde, Saalekreis – Die Umbettung eines Kollektivgrabes der Bernburger Kultur und nachfolgende Eingriffe in den Befund
Das eponyme Salzmünder Erdwerk wurde im 31. Jh. v. Chr. bewusst zerstört. Im Zuge dieser Vorgänge ist in die Verfüllung des inneren Erdwerksgrabens eine einzigartige Umbettung von Menschenknochen, Steinen, Gefäßresten und Schmuck vorgenommen worden. Diese Objekte waren zuvor offensichtlich Bestandteile eines Kollektivgrabes der frühen Bernburger Kultur, das im Saalegebiet außerhalb des Erdwerksbereiches gestanden haben muss. Die an diesen außergewöhnlichen Platz der Salzmünder Kultur gebrachten Objekte und die Knochen der mindestens fünfundzwanzig Individuen wurden im Graben in zuvor markierten Bereichen nach Gruppen getrennt niedergelegt und dieser Ort somit symbolträchtig besetzt. Die Position der Umbettung, zudem am Fuß eines alten Grabhügels der Baalberger Kultur, war offensichtlich bewusst gewählt, denn sie überdeckte eine Lage von Schädeldeponierungen der Salzmünder Kultur. Der Befund ist einer der deutlichsten Belege für den Umgang mit Knochen und für die Omnipräsenz von Ahnenverehrung und Schädelkult in den neolithischen Kulturen dieser Zeit, wie er auch an anderen Befunden dieses Fundplatzes nachweisbar ist. Die langfristige Aufbewahrung von Knochen und der Glaube an deren positive oder auch negative Kraft, insbesondere von Schädeln, war offensichtlich allgemein verbreitet und Kulturen übergreifend akzeptiert.
Ein ganz anderer Umgang mit den menschlichen Überresten vorangegangener Zeiten lässt sich an der vorzustellenden Umbettung darüber hinaus durch die Schnurkeramikkultur belegen. Ohne Rücksicht auf die älteren Deponierungen griffen die Träger dieser Kultur in den Befund ein um Steine daraus zu bergen, die sie für den Bau einer großen Steinkiste nebenan benötigten. Ein solcher Umgang mit früher errichteten Monumenten ist in Mitteldeutschland nicht nur in diesem Fall erkennbar sondern tritt häufig auf. Entsprechende Beispiele werden veranschaulicht und geben Anlass, frühere Thesen einer regelhaften Bezugnahme auf ältere Bestattungen zu überdenken. Möglicherweise bestand der Bezug einzig in der unbefangenen Nutzung bereits vorhandener Hügel.
Martin Nadler • Gedanken zu den sog. Silobestattungen der Münchshöfener und Michelsberger Kultur
Am Übergang zum 4. Jahrtausend treten in den jungneolithischen Kulturgruppen Süddeutschlands sog. Silobestattungen in Erscheinung. Wegen der Lage in einem Siedlungsumfeld in offenkundig aufgelassenen Vorrats(?)gruben galten sie lange Zeit als Sonderbestattungen bzw. wurden wegen des Anscheins einer wenig sorgsamen Niederlegung als aus unterschiedlichen Gründen irregulär entsorgte Verstorbene betrachtet. Mittlerweile hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass wir es mit einer zeittypischen Bestattungsform zu tun haben. Wie bei früherer Gelegenheit (M. Nadler/M. Schultz/E. Oplesch/J. Novaček, Die Michelsberger Hockerbestattung von Regensburg-Burgweinting – Archäologie und Anthropologie. In: L. Husty, W. Irlinger und J. Pechtl (Hrsg.), „… und es hat doch was gebracht!“ Festschrift für Karl Schmotz zum 65. Geburtstag. Intern. Arch. Stud. Hon. Bd. 35 (Rahden/Westf. 2014), 109-144.) schon ausgeführt, können auf Grundlage der bislang vorliegenden Datenbasis die dahinterstehenden Vorgänge nachvollzogen werden. Demnach lassen sich die Befunde als in unterschiedlichen Stadien überlieferte Belege eines mehrstufigen Bestattungsritus erklären, in dessen Verlauf die menschlichen Überreste einen komplexen und langwierigen Prozess von Manipulationen und taphonomischen Prozessen durchlaufen – möglicherweise als eine spezielle Ausprägung der sich in dieser Zeit entwickelnden Kollektivgrabsitte, die sich in ähnlicher Weise auch in weiteren archäologischen Gruppen in Mitteleuropa manifestiert.
Rouven Turck, Niels Bleicher • Leben und Sterben auf dem Abfallhaufen? Menschliche Skelettreste in Jungsteinzeitlichen Seeufersiedlungen (ZH-Opéra)?
Pfahlbauarchäologie ist Siedlungsarchäologie. Am Seeufer gibt es keine prähistorischen Friedhöfe. Dies ist seit langem bekannt. Dass es dennoch immer mal wieder einzelne und schwer zu interpretierende menschliche Knochenfunde aus Pfahlbausiedlungen gab, ging dabei oft vergessen. Wurden einmal welche erwähnt, so wurden sie beispielsweise als Opfer eines Dorfbrandes interpretiert, die ihr brennendes Haus nicht schnell genug verlassen konnten. Mit der Ausgrabung von Zürich-Parkhaus Opéra hat sich dieses Bild geändert. Erstmals konnte in zwei Schichten eine Anzahl einzelner menschlicher Knochen dokumentiert werden, für die sich der Kontext genauer fassen ließ. Sie bargen zwei Überraschungen: Sie tragen Schnittspuren, sind teils angeröstet – und sie lagen auf den Abfallhaufen. Auch von anderen Siedlungen sind Schnittspuren auf menschlichen Knochen bekannt, nur gab es bislang keine belastbaren Kontextdaten.
Solche Funde sind schwer zu interpretieren. Handelt es sich um Kannibalismus-Opfer oder komplexe Totenrituale? Wurden Tote „entsorgt“ – oder handelt es sich um sekundäre Verlagerungen der Skelettelemente? Eine Möglichkeit zur Rekonstruktion der Lebensverhältnisse der Individuen aus den Seeuferkontexten liefern Isotopenstudien, die jüngst für Menschen im Pfahlbaukontext vorgenommen wurden.
Literatur:
N. Bleicher/Chr. Harb, Zürich-Parkhaus Opéra. Eine neolithische
Feuchtbodenfundstelle. Band 3: Naturwissenschaftliche Analysen und Synthese. Monographien der Kantonsarchäologie Zürich 50 (Zürich/Egg 2017).
Clara Drummer • Grabhandlungen oder Handlungen am Grab? Die Bedeutung schnurkeramischer Scherben und unterschiedlicher Bestattungskonzepte am Beispiel des Galeriegrabes Altendorf, Lkr. Kassel
Der Wechsel von Kollektivgräbern zu Einzelbestattungen in Hügelgräbern vom Spät- zum Endneolithikum (ca. 2900 v.Chr.) wird als sozial tiefgreifender Wandel dargestellt. Dieser wird aufgrund aktueller aDNA-Studien auch als Migrationsbewegungen der Schnurkeramik verstanden und könnte deshalb nicht nur ein sozialer Wandel im Grabkontext, sondern auch ein Wandel der Bevölkerung sein. Schnurkeramische Scherben, die in den chronologisch jüngeren endneolithischen Gräbern vorkommen und als Beigaben zu deuten sind, finden sich bereits vor der Etablierung von Hügelgräbern in den megalithischen Galeriegräbern Hessens. Die Gründe und Auswirkungen dieser Kontextvermischungen in der mitteldeutschen Gebirgszone wurden bisher weniger intensiv diskutiert, weshalb der soziale Wandel von Spät- zu Endneolithikum u.a. anhand dieser Kontextvermischungen beleuchtet werden soll, weil diese das Spät und Endneolithikum miteinander verbinden.
Die Aufarbeitung des 1934 ergrabenen und nur teilweise publizierten Galeriegrabes Altendorf, Lkr. Kassel bietet neue Interpretationsansätze über den Wandel der Bestattungssitten im ausgehenden Neolithikum. Die Analyse der räumlichen Verteilung von Bestatteten und Grabfunden, aber auch die zeitliche Tiefe der Funde, sowie die Untersuchung unterschiedlicher Grabhandlungen ermöglichen neue Erkenntnisse. Zum einen sind unterschiedliche Bestattungskonzepte anhand der Vollständigkeit, Orientierung und Körperhaltung der Bestatteten sichtbar. Zum anderen zeigen Grabumräumungsprozesse, Fundkonzentrationen sowie Spuren von Hitzeeinwirkungen, dass neben der Niederlegung der Toten, auch andere Aktivitäten im Grab stattfanden. Dabei ist unklar, durch welche Aktivitäten die schnurkeramischen Scherben in das Grab gekommen sind. Handelt es sich um schnurkeramische Handlungen am Grab nach dem Ende der eigentlichen Grabnutzung oder um reguläre Grabhandlungen im Sinne von Nachbestattungen in schnurkeramischer Zeit? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Transformationsprozesse im ausgehenden Neolithikum?